Mordwoche (German Edition)
Karl merkte, dass er sich freute. Seine Enkel waren sein Ein und Alles. Er war gern mit ihnen zusammen. Hier konnte er ein bisschen was vom dem nachholen, was er bei seinen eigenen Kindern versäumt hatte.
Susanne und Alex hatten ebenfalls das Haus verlassen und waren weggefahren. Er musste dringend mit Susanne sprechen. Seine Tochter sollte unbedingt wissen, dass in seinem Herz auch für Enkel Nummer drei noch ausreichend Platz war. Und wenn er sich erst einmal an den Gedanken gewöhnt hätte, dann wäre bestimmt auch ein weiblicher Schwiegersohn kein Weltuntergang mehr für ihn. Hoffentlich blieb ihm noch genügend Zeit!
Für den Fall allerdings, dass der Krebs schneller war, wollte Karl Merz vorsorgen. Er nahm sein Briefpapier zur Hand und beschriftete den ersten Umschlag: „Für Susanne, zu öffnen nach meiner Beerdigung.“ Bis er den Briefbogen einstecken konnte, wanderten allerdings etliche angefangene Briefe zerknüllt in den Papierkorb. Zusammen mit einem Brief an Katrin legte er den Umschlag in die oberste Schublade des Schreibtischs. Hier würden die Mädchen als erstes nachschauen, wenn es so weit war. Seine Töchter sollten wissen, warum er es getan hatte. Es war ihm wichtig, dass sie ihn verstanden.
Draußen war es mittlerweile ganz dunkel und Karl zog die Vorhänge vor dem Fenster zu. Jetzt würde er zwar immer noch stören, aber das Festessen würden seine Gesprächspartner für ein kurzes Telefonat unterbrechen können. Es ging nicht anders. Karl griff zum Hörer und wählte die erste Nummer.
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Otto König schluckte. Eine Pistole in seinem Salon! Das hatte gerade noch gefehlt. Er drehte sich um, aber niemand schien seine Entdeckung bemerkt zu haben. Der Fremde hatte sich eine Zeitschrift bringen lassen und trank seinen Kaffee. Das darf doch wohl nicht wahr sein, dachte der Friseur und bemühte sich ruhig zu bleiben. Er holte Herrn Eberts Schirm von der Garderobe und brachte ihn zu seinem Besitzer, der an der Kasse gewartet hatte. Der schien die Aufregung Otto Königs nicht zu bemerken; er freute sich, sein Eigentum wohlbehalten ausgehändigt zu bekommen. „Gell, bei Ihnen hier im Salon ist die Welt noch in Ordnung. Da wird nicht geklaut. Hier müssen die Spitzbuben draußen bleiben.“ Wenn der wüsste, dachte sich der Friseur und verabschiedete Herrn Ebert ein zweites Mal. Um den Fremden unauffällig beobachten zu können, sortierte Otto König die Pflegeprodukte, die in einem Regal neben der Kasse standen. Von hier hatte er den Italiener im Blick. Was war das nur für ein Kerl? Hatte er eben einem Mafioso die Haare geschnitten? Musste er sich auf eine Schutzgelderpressung gefasst machen? Otto König schossen viele Gedanken durch den Kopf. Er musste Gerda unbedingt von seiner Entdeckung berichten. Die hatte bestimmt eine Idee, was zu tun war.
Der Fremde war vielleicht Anfang oder höchstens Mitte dreißig, hatte höfliche Umgangsformen, war allerdings nicht besonders mitteilsam. Auf die Fragen Otto Königs hatte er zwar geantwortet, aber er war anscheinend nicht besonders erpicht darauf, viel von sich preis zu geben. Für die Kirchen und Friedhöfe der Stadt hatte er sich interessiert. Hatte das etwas mit dem Revolver in seiner Jacke zu tun? Otto König überlegte, ob er die Polizei rufen sollte. Aber so viel er wusste, war allein der Waffenbesitz noch nicht verdächtig oder strafbar. Und der Fremde sah so harmlos aus wie ein italienischer Gastarbeiter auf Jobsuche und hatte so charmant mit seiner Angestellten geflirtet, dass er sofort in jeder Eisdiele den Posten des Chef-Verkäufers bekommen hätte. Der Kerl war sicher nicht der nette Typ von nebenan, der er vorgab zu sein, da war sich Otto König sicher. Denn nette Leute laufen nicht mit einer Knarre in der Jacke herum.
Endlich kam Gerda König in den Herren-Salon hoch. „Ich richte schnell die Sachen für die Maniküre her. Sei so lieb und mach du die Kasse für die Dame.“ Seine Frau verabschiedete sich von ihrer Kundin und verschwand in dem kleinen Nebenraum hinter dem Perlenvorhang. Für den flehentlichen Blick ihres Mannes hatte sie keine Augen. Der Laden war voll und Gerda König wollte die Kundschaft nicht unnötig warten lassen. „Gerda, ich muss dich kurz sprechen.“ Der Perlenvorhang tanzte mit einem klackernden Geräusch hin und her und Otto trat so dicht an seine Frau heran, dass er ihr ins Ohr flüstern konnte. Was er ihr zu sagen hatte, sollte niemand außer ihr hören. Gerda neigte den Kopf ein
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