Mordwoche (German Edition)
Otto König sogar Gefallen an dem Nervenkitzel gefunden. Nach dieser aufregenden Mittagspause bereute er es sogar ein wenig, dass er jetzt wie üblich seinen weißen Friseurkittel anziehen musste, als ob nichts geschehen sei. Er wunderte sich selbst über seine Nervenstärke und er musste zugeben, dass sein Ehrgeiz gepackt war. Er wollte diesem windigen Italo-Bürschchen sein kriminelles Handwerk legen. Es konnte doch nicht sein, dass so ein Kerl frei in Bärlingen herumlief! Hier war die Welt doch noch in Ordnung. Und das sollte sie auch bleiben, dafür würde er zur Not eigenhändig sorgen, dachte Otto König.
Auch wenn es überhaupt nicht in ihren Zeitplan passte, zur Beerdigung von Karl Merz würden Gerda und Otto König heute Nachmittag gemeinsam gehen, schließlich war der Autohaus-Chef eine Größe in Bärlingen. Bis dahin würden sich im Salon die Kundinnen allerdings die Klinke in die Hand geben. Weil sich die Damen für den Silvester-Ball heute Abend zum Teil aufwändige Hochsteckfrisuren wünschten, hatten sie im Salon an diesem Tag ausnahmsweise Termine vergeben. Und da passte es Gerda und Otto König eigentlich gar nicht, dass sie am Nachmittag auf den Friedhof mussten und im Salon ausfallen sollten. Aber man konnte sich schließlich nicht aussuchen, wann man starb.
Schlecht hatte er in letzter Zeit ausgesehen, der Herr Merz, dachte Gerda König, als sie der dritten Kundin die Haare wusch. Oft hatte man den Autohaus-Besitzer nicht mehr zu Gesicht bekommen, da er alle öffentlichen Einladungen zu meiden schien. Ihr Mann hatte ihn noch vor zwei Wochen zu Hause besucht, um ihm die Haare zu schneiden und hatte ihr berichtet, wie schwach der alte Mann inzwischen war. Wie gut, dass er den Unfall seiner Frau nicht mehr miterleben musste. Es musste schrecklich sein, wenn die Polizei an der Tür klingelte und so eine Nachricht überbrachte. Jetzt hatten die Töchter in einer Woche beide Eltern verloren. Das war doch tragisch!
Die Friseu rin wurde aus ihren Gedanken gerissen, als Hauptkommissar Haller den Salon betrat. „Tut mir leid, Frau König, dass ich Sie schon wieder bei Ihrer Arbeit stören muss. Können wir irgendwo ungestört miteinander reden?“ „Das ist im Moment wirklich ganz ungünstig. Du siehst doch, was hier los ist. Können wir es nicht so machen wie gestern?“ Georg Haller erinnerte sich voller Entsetzen an die schwerhörige Dame mit ihrem Kölnisch-Wasser im Täschchen. Er trat näher an die Chefin heran und flüsterte ihr leise ins Ohr: „Was wir zu besprechen haben, ist nicht für fremde Ohren bestimmt.“ Gerda König überlegte kurz und bat dann ihre Angestellte, nach der Kundin zu sehen, die sie sitzen lassen musste. Anschließend bugsierte sie den Hauptkommissar kurzerhand in eines der Separees und ließ ihn auf dem Friseur-Stuhl Platz nehmen. „Die Kundinnen haben es heute alle besonders wichtig mit ihren Ballfrisuren. Da will jede die Schönste sein. Wenn ich jetzt anfangen würde, ihre zugesagten Termine durcheinanderzubringen, indem ich mich mit Ihnen zum Schwätzle-Halten – nicht falsch verstehen, Schorsch, gell - in die Kaffeeküche verziehe, dann wäre hier die Hölle los. Ich kann Sie aber als Kunden bedienen, so vermeiden wir böses Blut.“ Dem Hauptkommissar blieb nichts anderes übrig, als sich in sein Schicksal zu ergeben.
„Viel gibt’s aber bei dir nicht zu schneiden, Schorsch.“ Gerda König hatte sich hinter den Stuhl gestellt und kämmte die Haare des Hauptkommissars. „Wie viel Zeit brauchst du denn für deine Befragung?“ Georg Haller wunderte sich. Das war ihm noch nie passiert, dass er vorher die Gesprächszeit anmelden musste. Aber er sah auch, dass sich der Salon heute im Ausnahmezustand befand. Und er wollte ganz gewiss nicht die Ursache dafür sein, den Zorn der versammelten Bärlinger Damenwelt gegen sich aufzubringen. „Das mit den Haaren überlasse ich Ihnen, davon verstehen Sie mehr. Sie haben doch noch bestimmt etwas Anderes außer einem Haarschnitt im Angebot.“ Georg Haller wusste zwar nicht, worauf er sich damit einließ, aber sein Vertrauen in die professionellen Fähigkeiten von Gerda König war grenzenlos seit dem Vorfall damals in der Grundschule. Die Friseur-Meisterin feuchtete die Haare als erstes mit Hilfe einer Sprühflasche an und zückte anschließend die Schere, die sie zusammen mit allerhand anderen Hilfsmitteln griffbereit in ihrem Hüftgurt bei sich trug.
Von links und rechts konnte man das Geräusch der Föhne
Weitere Kostenlose Bücher