Morgaine 2 - Der Quell von Shiuan
seine Stiefel waren durchnäßt. Der Schlamm klebte an den Füßen und belastete seine Gelenke, und er kämpfte dagegen, bewegte sich so schnell es ging, wobei er vor Erschöpfung keuchte.
Die Nacht brach an. Die Straße ging im Dämmerlicht unter. Weiter vorn waren nur noch kleine Erdhügel auszumachen, die jeweils einen Baum stützten, die Kanäle dazwischen waren zu reißenden Strömen geworden. Nur noch gelegentlich aufragende Felsbrocken oder das Fehlen größerer Bäume auf einer bestimmten Linie verriet das Vorhandensein der Straße unter der Flut.
Neben der Straße ragte eine mächtige Säule auf, von Ranken bedeckt und von einem Baum verhüllt, der das Gebilde schräg herumgedrückt hatte und dann gestorben war, eine skeletthafte Ruine. Auf den meisten Steinen dieser Art hatte der beharrliche Regen die Meißelzeichen fortgewaschen, dieses Mal aber bestand es aus härterem Stein. Morgaine hielt inne, beugte sich aus dem Sattel, um die abgestorbenen Ranken zur Seite zu heben, und las die alten Glyphen, als erhoffe sie davon einen Aufschluß über ihren weiteren Weg.
»Arrhn«,
sagte sie. »Hier gab es einmal einen Ort, der
Arrhn
hieß. Sonst steht da nichts.«
»Aren«, sagte Jhirun plötzlich. »Aren ist die Siedlung der Sumpfbewohner.«
»Wo?« fragte Vanye. »Wo liegt sie?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Jhirun nachdrücklich. »Aber Lady — Lady, wenn Aren in der Nähe ist, finden wir dort Unterkunft. Sie müssen uns aufnehmen. Sie würden dich nicht fortschicken. Bestimmt nicht!«
»Logisch«, sagte Morgaine, »wenn es
qujalin
war, müßte es mit der Straße zu tun haben.«
In der Luft lag das Singen des Windes, der die Äste herumzucken ließ, und das betäubende Brausen des Wassers, das ringsum strömte: Elemente, die ihre eigenen Argumente hatten, die davon zu überzeugen vermochten, daß selbst ein ungewöhnlicher Unterschlupf ein Weg zum Überleben sein mochte.
Sie spornte Siptah erneut an, und Vanye mußte sich anstrengen, die Spitze zu halten, während ihm der Atem in den Lungen brannte. An manchen Stellen watete er schon bis zu den Knien im Wasser und spürte die Kraft der Strömung an seinen zitternden Muskeln.
»Reite du jetzt!« rief Morgaine ihm zu. »Wechsele mit mir. Ich gehe eine Weile zu Fuß.«
»Das könntest du nicht.« Er wandte sich um, damit sie ihn auch hörte — und sah in ihrem erschöpften Gesicht einen Anflug von Schmerz.
»Liyo«,
fügte er hinzu, solange er noch im Vorteil war, »ich glaube, du wärst vernünftiger gewesen, wenn du mich nicht bei dir hättest. Nur soviel kann ich tun.« Er schüttelte sich das Wasser aus den Augen und nahm den Helm ab, der nur ein zusätzliches Gewicht bildete und der seine Schultern schmerzen ließ. »Trage dies für mich«, bat er. Er hätte auch noch die Rüstung abgelegt, wenn ihm die Zeit geblieben wäre, doch er durfte nicht verweilen. Sie nahm den Helm und hängte ihn am Kinnriemen an ihren Sattel.
»Du hast recht«, sagte sie. Diesen Trost zumindest gönnte sie ihm.
Er machte einen tiefen Atemzug und wanderte weiter; er legte die Finger um den Halfter des Wallachs und tastete sich in beinahe totaler Dunkelheit durch das tosende schwarze Wasser. Seine Knie waren eingetaucht, und er bewegte sich in einer Strömung, die ihn beinahe von den Füßen riß. Er hatte Angst gehabt um die anfälligen Beine der Pferde. Jetzt fürchtete er um sich selbst. Einmal sank er bis zur Hüfte in ein Loch und sagte sich mit zunehmender Panik, daß er nicht mehr die Kraft aufbringen würde, die Gruppe zu führen: die Szenerie weiter vorn sah auch nicht besser aus, schwarzes Wasser, das zwischen den Bäumen brodelte.
Etwas plätscherte inmitten des Brausens, als er zögerte und die Szene vor sich betrachtete; er drehte sich um und sah Morgaine bis zu den Hüften in der Flut, gegen die Strömung ankämpfend und Siptah am Zügel näherziehend. Er fluchte erstickt, mühte sich ihr entgegen und flehte sie an, Vernunft walten zu lassen, doch als er zu sprechen begann, packte sie seinen Arm und lenkte seine Aufmerksamkeit durch die Schatten von Nacht und Sturm nach links.
Blitze enthüllten in dieser Richtung eine dunkle Masse, einen Hügel, einen Steinhaufen, massig und düster und von Bäumen gekrönt, eine Höhe, die über jedem möglichen Wasseranstieg liegen mochte.
»Ja«, sagte er heiser, und Hoffnung loderte in ihm auf; doch in diesem Land traute er nichts und niemandem und zupfte an Jhiruns Bein, um sie zu wecken und auf die
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