Morganas Wölfe
das kaum zu sehen war, und sprach leise zu mir selbst. »Was hat das Tier hier gewollt? Wollte es zu Butcher, war es schon bei ihm? Oder hat es einfach nur auf ihn gelauert?«
»Gelauert«, sagte Suko.
»Wie kommst du darauf?«
»Wenn es Butcher angegriffen hätte, warum hätte es dann in der Nähe seines Hauses bleiben sollen? Dann hätte unser ›Freund‹ verschwinden und seiner Herrin Meldung machen können. Das ist zumindest meine Meinung. Wie du denkst, weiß ich nicht.«
»Ahnlich.«
»Ausgezeichnet, John. Dann können wir ja jetzt darangehen, Teil zwei unseres Plans in die Tat umzusetzen. Der Besuch bei einer gewissen Melanie Morton.«
Ich schwieg. Und mein Schweigen gefiel Suko nicht. »Hast du was dagegen?« wollte er wissen.
»Nicht direkt.«
»Dann erkläre mir den indirekten Grund.«
»Das ist ganz einfach«, sagte ich und deutete auf die Asche. »Denk mal daran, daß er ein Werwolf oder was immer gewesen ist. Und dann vergegenwärtige dir das, was uns Freund Tanner gesagt hat. Es sind in der vergangenen Nacht zahlreiche Menschen von diesen Wölfen gebissen worden. Sie liegen jetzt in einem Krankenhaus. Ich befürchte, daß sie unter diesen Bissen noch stärker leiden werden, als sie es sich in ihren kühnsten Träumen vorstellen können.«
»Du glaubst an die Verwandlung?«
»So ist es.« Ich tippte Suko auf die Schulter. »Und zwar nicht sofort, sondern später, wenn die Dunkelheit in den Nebel eintaucht. Dann könnten aus diesen Menschen Wesen werden, die man als Werwölfe bezeichnen kann. Deshalb ist es besser, wenn einer von uns, ich dachte da an dich, im Krankenhaus wartet und die Verletzten unter Kontrolle hält.«
»Der Vorschlag ist nicht schlecht«, gab Suko zu. Dann preßte er die Lippen zusammen. »Kannst du mir auch sagen, wie ich reagieren soll, mein Lieber?«
»Das weißt du selbst.«
»Wie viele Menschen sind es denn, die von den Bestien angefallen wurden. Acht oder zehn?«
»So ungefähr.«
»Und ich soll sie…?« Er sprach nicht mehr weiter und wischte über seine Stirn. »Das ist verdammt viel verlangt.«
»Aber die einzige Chance, falls es überhaupt soweit kommt und sich alle verwandeln.«
Suko dachte einen Moment nach. Dann nickte er. »Gut, ich mache es, John, aber was wirst du in der Zwischenzeit unternehmen? Bis zum Anbruch der Dunkelheit ist Zeit genug, da vergehen Stunden und…«
»In denen ich dieser Melanie Morton einen Besuch abstatte.«
»Wobei du hoffst, auf deine alte Freundin Morgana Layton zu treffen, sage ich mal.«
»Auch das.«
»Ist nicht ungefährlich.«
»Wenn ich über die Straße gehe, ist es auch gefährlich. Da muß nicht alles zutreffen, weder bei dir noch bei mir. Aber wir sollten uns später, wenn es tatsächlich so gekommen ist, keine Vorwürfe machen. Es sind Wölfe in London, und es sind keine normalen Tiere, die ihre Wälder im Norden verlassen haben. Sie sind nicht grundlos in London eingesickert, und sie sind so von sich überzeugt, daß sie sich auch in der Öffentlichkeit zeigten und diese Bar überfielen.«
»Nur so aus Spaß?«
»Glaube ich nicht. Es ging ihnen um etwas anders, um eine bestimmte Person.«
»Melanie Morton, ich weiß.« Suko verzog das Gesicht. »So richtig gefällt mir dein Vorschlag nicht.«
»Okay, es ist ein Risiko, aber was sollen wir machen? Jedenfalls kriegst du von mir Bescheid. Sieh zu, daß du ein Telefon bekommst, und gib die Nummer Glenda durch.«
»Ja, das mache ich.«
Ich schlug ihm auf die Schulter. »Dann ist ja alles klar.«
Wir mußten in verschiedene Richtungen fahren. Melanie Morton wohnte ungefähr dort, wo der Westway A40 endete und in die Marylebone Road überging. Ich mußte nur ein paar Straßen in die nördliche Richtung, konnte ebenfalls mit der U-Bahn fahren und an der Station Marylebone aussteigen. Beide wußten wir, daß unsere Aktivitäten auf tönernen Füßen standen. Es waren nun mal zwei Spuren, denen wir nachgehen mußten. Wenn wir zusammenblieben, fehlte der eine möglicherweise an einem anderen Ort.
Einen letzten Blick warf ich auf die Reste der Bestie. Ein normaler Werwolf war das nicht. Der entwickelte sich, wenn er von einer magischen Gegenkraft erwischt wurde, wieder zurück.
Es war Morganas Wolf, sicherlich nicht weniger gefährlich als der uns bekannte Werwolf…
***
Als Phil Butcher an der U-Bahn-Station Marylebone ausstieg, da zitterte er. Es war die innere Kälte, die ihn frieren ließ. Er kam sich vor wie jemand, der wissentlich einen Fehler
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