Morgen früh, wenn Gott will
immer noch ihre Küche. Was mir am meisten auf die Nerven ging, war die Tatsache, dass sie zu wissen schien, wo alles seinen Platz hatte: die Teebeutel, die Löffel, die Tassen. Ich notierte mir im Geiste, dass die Sachen sobald als möglich umgeräumt werden mussten.
Agnes wollte die Polizei anrufen, doch ich ließ sie nicht. Noch nicht. Vorher hatte ich selbst noch ein paar Fragen.
»Wie sind Sie hereingekommen?«, fragte ich, noch völlig am Ende, als sie mir vom Boden aufhalf.
»Ich habe durch den Briefkastenschlitz gespäht, als niemand antwortete, und Sie dabei auf dem Boden liegen sehen. Also ging ich zur Hintertür, die glücklicherweise offen stand.« Ich stützte mich auf sie, was sie auf ihren Stilettoabsätzen zum Schwanken brachte. Dann ließ ich mich auf den Sessel im Flur gleiten. »Ich habe schließlich selbst hier gelebt, wenn Sie sich erinnern.«
Wie hätte ich das je vergessen können?
»Was ist passiert? Sind Sie gestürzt?«, fragte sie und blickte dann entsetzt auf ihre Hand. »Mein Gott, Sie bluten ja!«Ihr Gesicht war so nahe an meinem, dass ich die winzigen Wimperntuschesprenkel auf ihrem Unterlid sehen konnte.
»Ich weiß nicht.« In meinem Kopf drehte sich alles. Ich biss mir vor Schmerz auf die Lippen. »Irgendjemand … muss mich geschlagen haben, glaube ich.«
Sie sah mich an, als würde ich mir das ausdenken, und einen Augenblick lang kam es mir selbst unwahrscheinlich vor. Ich versuchte verzweifelt, einen klaren Gedanken zu fassen, was wirklich unglaublich schwierig war. Agnes meinte, sie würde Wasser aufsetzen, also rief ich Deb an. Ich brauchte eine ganze Weile, um die Nummer zu finden, weil mir einfach nicht einfiel, wo ich sie hatte. Dann fragte ich mich, wo Deb wohl sein würde und ob ich lieber sie oder Silver anrufen sollte. Als ich endlich durchkam, war Deb in einer Besprechung. Ich hinterließ ihr eine Nachricht.
Im Badezimmer im Erdgeschoss blieb ich längere Zeit über das Waschbecken gebeugt. Ich wollte warten, bis die Übelkeit verging. Dann versuchte ich, mir das Blut vom Hals zu waschen. Im Arzneischränkchen fand ich Schmerzmittel. Dankbar schluckte ich ein paar von den Tabletten und ging in die Küche zurück, um mich meiner Nemesis zu stellen.
Vielleicht lag es ja an meiner Verwirrung, doch Agnes schien deutlich weniger perfekt als das letzte Mal. Unter den Schichten von Make-up und der künstlichen Sonnenbräune sah sie müde aus. Ich saß auf einem Küchenstuhl und bat um drei Stück Zucker in meinen Tee. Irgendwie zitterte ich immer noch. Agnes tänzelte anmutig durch meine Küche, und die ganze Zeit konnte ich spüren, dass in ihrem Gehirn etwas vorging. Sie wollte etwas sagen, dann wieder nicht. Am Ende entschied sie sich.
»Ich möchte Mickey sehen«, sagte sie, als sie mir gerade den Rücken zuwandte. »Würde es Ihnen etwas ausmachen?«
»Er ist nicht da«, sagte ich matt. Im Moment existierte ich nur für diesen entsetzlichen, betäubenden Schmerz in meinem Schädel.
»Nein, nicht hier. Im Krankenhaus. Ich muss mit ihm sprechen, Jessica.« Wenig anmutig knallte sie die Teetasse vor mich hin. »Ich kann Ihnen nicht sagen, worum es geht.«
»Nun, ich habe ja auch nicht gefragt«, gab ich zurück. Ich rührte die schwarze Flüssigkeit um und dachte an Milch. »Aber ich weiß trotzdem nicht, wo er ist.«
Zum ersten Mal sah ich sie lächeln. »Hat er … haben Sie ihn verlassen?«
»Nein, ich habe ihn verdammt noch mal nicht verlassen«, schnappte ich. »Er ist losgezogen, um unseren Sohn zu finden. Ich weiß nicht, wo er ist, aber leider geht es ihm nicht gut und …« Mein Kopf schien zu zerspringen. Vor Schmerz kniff ich die Augen zu. Einen Moment lang sah sie besorgt aus und trat auf mich zu. Ich zuckte unwillkürlich zurück. Ihr Körper so nahe an meinem – das konnte ich nicht ertragen.
»Es geht mir gut«, sagte ich. »Wirklich.« Doch meine Augen tränten immer noch. Wir wussten beide, dass ich log. »Warum fragen Sie mich überhaupt um Erlaubnis?«, fragte ich, als mir das schmerzhafte Pochen eine Pause ließ. »Vorher hat Sie das ja auch nicht gekümmert.«
»Weil ich Sie jetzt kenne. Und weil ich Sie, Jessica, respektiere. Als Frau. Als Mickeys neue Frau. Ich kenne Sie jetzt als Menschen, vorher waren Sie nur ein Schatten auf meinem Leben.«
Aber hallo. Zu viele Therapiesitzungen, nahm ich mal an. Mit erschreckender Faszination sah ich zu, wie sie blicklos in den Garten starrte.
»Ich liebe diese Rosen, Sie nicht? Die weißen. Ich
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