Morgen ist der Tag nach gestern
sein Weinglas. Den Ellenbogen auf die Armlehne des Sessels gestützt, lässt er seine Hand mit kleinen Bewegungen kreisen. Der Wein zieht in dem bauchigen Glas gleichmäßige, goldene Bahnen über die hauchdünne Wand.
Er wusste nicht, ob Janine auch jemanden hatte. Obwohl sie häufig zu Besuch gewesen war, war sie ihm doch fremd geblieben. Nicht, dass er sie nicht mochte, aber es hatte immer eine Art Wortlosigkeit zwischen ihnen gestanden. Dieses Gefühl, nicht die gleiche Sprache zu sprechen. Sie hatte eine Art, ihre Standpunkte zu vertreten, die rücksichtslos wirkte und keinen Widerspruch duldete. Er hatte lange gebraucht, die tiefe Unsicherheit, die dahinter steckte, zu erkennen. Sie konnte in einer Welt voller Möglichkeiten und Widersprüche nicht leben. Es gab Richtig und Falsch und mehr durfte nicht sein. Zwischentöne warfen sie aus der Bahn. Und dann jemand wie Joop an ihrer Seite. Joop, dem nichts so verhasst ist wie Schwarzweißdenken. Der sein Talent genau da entwickelt, wo es darum geht, immer neue Möglichkeiten zu durchdenken. Aber vielleicht gerade darum …
Sein Blick verliert das Ziel, Wohlbehagen spinnt ihn ein, das Summen der Insekten, die Wärme, alles entspannt.
Er hört seinen Namen aus weiter Ferne. Der Duft der Reibekuchen holt ihn zurück. Brigitte steht neben ihm. Sein Weinglas liegt im Gras. Eine Fliege schwimmt betrunken im letzten Schluck Chablis.
Brigitte legt eine Hand auf seine Schulter und schaut zur Terrasse hinüber. Erst jetzt nimmt er Joop wahr, der lang-sam auf sie zu schlendert.
„Er ist so traurig“, flüstert Brigitte ihm zu. Böhm drückt kurz ihre Hand. „Ich weiß.“
Sie essen gemeinsam. Joop erzählt, dass Janine noch eine Woche in der gemeinsamen Wohnung bleiben will und dann zu ihren Eltern nach Bonn zieht. Sie habe in nächster Zeit viele Termine in Köln. Plötzlich laufen ihm Tränen übers Gesicht. „Sie hat es … so eilig. Sie hat alles schon klar.“ Peter Böhm sieht den jungen Kollegen aufmerksam an. Hatte er da, in diesem letzten Satz, Bewunderung herausgehört?
Brigitte verscheucht eine Wespe über ihrem Glas.
„Joop, ich glaube nicht, dass sie schon alles klar hat. Ich glaube, sie war sich sehr sicher, dass du mitkommen würdest. Ich glaube, sie flieht, weil die Dinge jetzt plötzlich anders laufen als geplant.“
„Aber sie kann doch bleiben. Sie kann doch noch absagen!“ Joop sieht Hilfe suchend von Brigitte zu Peter. Dann lacht er bitter auf. „Nein, das kann sie nicht. Da wäre Papa ja enttäuscht. Schließlich hat er ihr den Job besorgt!“ Er fährt sich mit beiden Händen durch die Locken. „Papa ist jedenfalls endlich am Ziel. Dem war ein Bulle an der Seite seiner Tochter sowieso nie recht.“
Brigitte geht gegen 22:00 Uhr ins Haus um eine weitere Flasche Wein zu holen. Das Telefon liegt in der Küche auf der Arbeitsplatte und zeigt eine hinterlassene Nachricht an. Sie sieht im Speicher, dass es die Telefonnummer von Lem-bach ist. Mit einer neuen Flasche Chablis und dem Telefon kehrt sie in den Garten zurück.
Dämmerung hat sich unbemerkt angeschlichen und scheint sich unter den Bäumen am Ende des Gartens zu sammeln. Unter der Ulme haben Peter oder Joop die drei Petroleumlampen angezündet. Sie reicht das Telefon ihrem Mann.
„Lembach hat vor zehn Minuten angerufen. Er hat eine Nachricht hinterlassen.“ Böhm sieht sich suchend um. „Wieso hat der mich nicht … Oh, ich habe mein Handy im Auto gelassen.“
Er nimmt das Telefon und spielt die Nachricht ab.
„Mann, Peter jetzt melde dich endlich! Du musst herkommen. Wir sind im Keller von Horstmann und ich denke, das solltest du dir selber ansehen.“
Böhm drückt die Rückruftaste und stellt den Lautsprecher an. Es klingelt nur einmal da ist Lembach auch schon am Apparat.
„Wo steckst du denn? Wieso gehst du nicht ans Telefon?“
„Tut mir leid, Bernd. Wir sitzen im Garten und ich habe mein Handy im Auto gelassen.“
„Was ist denn mit dir los. Du musst doch erreichbar sein, wenn du Bereitschaft hast!“
Böhm sieht irritiert zu Joop hinüber.
„Bernd, ich habe keine Bereitschaft. Achim hat Bereitschaft. Aber ich bin froh, dass du mich erreicht hast. Was habt ihr denn gefunden?“ Joop beugt sich in seinen Sessel vor, um besser zu verstehen.
Einen Augenblick ist es still in der Leitung. Dann poltert Lembach los: „Steeg hat gesagt, du hast seine Bereitschaft übernommen und er hat bis morgen Mittag Urlaub! Mir ist das ehrlich gesagt auch scheißegal, aber
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