Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Morgen ist der Tag nach gestern

Morgen ist der Tag nach gestern

Titel: Morgen ist der Tag nach gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechtild Borrmann
Vom Netzwerk:
hatte genau die Mädchen rausgesucht, deren Väter bereits ausgereist waren. Und immer in ein Land, das mit den deutschen Behörden nicht kooperierte
.
    Nach allen Mädchen war gesucht worden. Ohne Ergebnis. In allen Fällen waren Erkenntnisanfragen in dem jeweiligen Land gestellt worden. Ohne Ergebnis
.
    Die Sonne hat den Tag jetzt vollends aus den Restschatten der Nacht gezogen. Er starrt aus dem Fenster ohne den Tag zu sehen. Er erinnert sich, dass er Yildiz gefragt hatte: Was sagt die Polizei dazu?
    Nichts, hatte der lakonisch geantwortet. Die haben den Zusammenhang noch gar nicht hergestellt. Es kann auch nur jemandem beim BKA auffallen. Die einzelnen Bundesländer arbeiten unabhängig voneinander.
    Er weiß noch, dass er dachte: Dann müssen wir zur Polizei gehen. Er weiß noch, dass er dachte: Wenn wir ihn kriegen, bevor die Polizei …! Er weiß noch, dass er sich plötzlich an eine Szene erinnerte. Miriam war ungefähr vier Jahre alt gewesen. Sie hatten verstecken gespielt. Er hatte schnell aufgegeben und gerufen: Du hast gewonnen! Da war sie hinter einem der LKWs hervorgekommen und hatte entrüstet gesagt: Aber Papa, du solltest mich doch finden!
    Yildiz hat mich fragend angesehen und ich habe genickt. Wir brauchten nicht darüber reden. An jenem Vormittag haben wir es beschlossen und planten unser weiteres Vorgehen. Wir mussten herausfinden, wer Zugriff auf diese Informationen hatte. Yildiz wollte nochmals mit allen Müttern sprechen, wollte sie befragen, mit wem sie gesprochen hatten, wer um ihre Situation wusste. Ich hatte Bekannte im hiesigen Stadtrat. Meine Aufgabe war es, herauszufinden ob Jugendämter, Sozialämter oder andere vernetzt waren. Ob vielleicht in einer solchen Behörde jemand die Daten weitergegeben haben könnte, oder sie gar selber genutzt hatte. Und ich sollte ihn über den Stand der polizeilichen Ermittlungen auf dem Laufenden halten
.
    Als hätte mein neu gefasster Mut, mein Entschluss zu handeln, die Dinge plötzlich wieder angestoßen, meldete sich eine Woche nach diesem Treffen Lailas Mutter bei mir. Laila hatte den Mann wiedergesehen, der damals sie und Miriam nach dem Weg gefragt hatte. Der Mann, nach dem die Polizei erfolglos gesucht hatte
.
    Er reibt sich die Augen. Er braucht dringend einen star-ken Kaffee. Als er erhebt, wird ihm schwindelig. Er lässt sich in den Schreibtischsessel zurückfallen und schließt die Augen. Ein kurzer, stechender Schmerz jagt durch seine linke Brust, breitet sich über die Schulter aus und zieht in den Arm. Ein verborgenes, stilles Lächeln umspielt seinen Mund. Ganz ruhig sitzt er da. Ja, auch damit wäre er jetzt einverstanden.
    Der Friede, der in ihn hineintropft, ruft eine Erinnerung wach. Er hatte schon einmal so empfunden. Gut fünfzehn Jahre war es her. Ein Maitag. Er war auf die Nordsee hinausgesurft. Der Wind, mit Stärke zehn bis elf, trieb ihn über die Wellen. Bei einer Halse war er aus den Schlaufen gerutscht und ins Wasser gestürzt. Dabei war der Gabelbaum gebrochen. Stunden hatte er auf diesem kalten Wasser verbracht und die Kälte hatte ihn durchdrungen wie einen dünnen Stoff. Seine Arme und Beine waren gefühllos geworden. Nach und nach hatte die Kälte nach seinem Lebenswillen getastet, hatte Eiskristalle um seine Gedanken gesponnen und seinen Widerstand erfroren. Er hatte auf diesem armseligen Surfbrett gelegen, war immer weiter hinausgetrieben aufs offene Meer und hatte gelächelt. Er hatte keine Trauer empfunden, keine Angst. Er hatte das Salz auf seinen Lippen geschmeckt und alles war gut gewesen. Alles schien, so wie es war, richtig zu sein.

    25
    Sie haben früh Feierabend gemacht. Bei der Stadtverwaltung in Moers war niemand mehr zu erreichen. Joop würde sich morgen früh um Sander kümmern. Peter Böhm hat es sich zu Hause unter der großen Ulme mit einem Glas Chablis gemütlich gemacht. Auf dem Heimweg hat er Räucherlachs, Meerrettich und Preiselbeeren gekauft. Der Tisch war schon gedeckt, als er ankam.
    Das orangefarbene Tischtuch leuchtet und zieht Insekten an, die Schwere und Trägheit in die Luft summen. Der Wein ist gut temperiert und das hohe Glas liegt kühl in seiner Hand. Der große Korbsessel umschließt seine ganze Gestalt. Brigitte ist in der Küche und backt Reibekuchen aus. Er hatte ihr von Joop und Janine erzählt und von seinem Angebot, Joop könne bei ihnen wohnen. Brigitte hatte gesagt: Oh ja, das fände ich schön! Und … hat Janine denn auch jemanden, der sich um sie kümmert?
    Er blickt in

Weitere Kostenlose Bücher