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Morgen letzter Tag!

Morgen letzter Tag!

Titel: Morgen letzter Tag! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Süß
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Verfehlung an, weil sich unser Referenzrahmen eben wieder mal verschoben hat?
    Konkret: Als in den 1968 er-Zeiten die Kinder der Nazigeneration ihren Eltern die Kriegsverbrechen aus zwölf Jahren NS -Herrschaft vorwarfen, da befanden sich die Kinder in einem völlig anderen sozialen und moralischen Referenzrahmen als ihre Eltern damals. Deswegen antworteten die Eltern wohl häufig mit dem Satz: » Darüber spreche ich nicht mit dir.« Die Kinder deuteten das als: » Ja, auch ich habe mitgemacht.« Sonst hätten sie ja keinen Grund gehabt zu schweigen. Gemeint aber war wohl » das verstehst du nicht«, denn das damals waren eben andere Zeiten. Der Referenzrahmen » Krieg« lässt nicht nur gewalttätigere Handlungen zu, er erfordert und legitimiert sie. Die Eltern hatten sich also, von einem heutigen Referenzrahmen aus betrachtet, (zum Teil) schuldig gemacht, aber aus ihrer Sicht hatten sie kein Problem mit ihrem Verhalten. Denn zu der Zeit der jeweiligen Handlungen galten diese ja nicht als » Unrecht«, sondern im Gegenteil als notwendig und vernünftig.
    Finden also moralische Handlungen ( » moralisch« hier jetzt im weitesten Sinn begriffen als das, was eben zu einer bestimmten Zeit als angemessen oder erforderlich gilt) in einem bestimmten Ethos statt, dann kann sich die Auffassung über deren Legitimität mit der Zeit (und dem Ort) sehr wohl ändern. Aber es gibt keine Exklusivität der Moralauffassungen. Jede ist so » gut« wie die andere.
    Was bedeutet das jetzt? Dass man Naziverbrecher nicht mehr verurteilen kann? Tatsächlich bedeutet es genau das. Zumindest kann man sich nicht auf ein ewiges Moralgesetz berufen. Gleichzeitig können und müssen Kriegsverbrecher sehr wohl verurteilt werden, um dadurch das eigene aktuelle Moralsystem zu stärken. Ein ethisches Handeln und Fühlen ist also, auch wenn es keine absolute Verbindlichkeit kennt, eine wesentliche Form des Erzeugens der eigenen sozialen Umwelt und der eigenen Identität. In einer Abwandlung der Goldenen Regel könnte man also folgende Fragen als die grundsätzlichen Fragen der Moral betrachten: » Wie will ich sein? Und wie soll die Welt sein, die ich mit meinen Handlungen mit verursache?«
    Ethische Fragen werden damit freilich zu Aktionen der Selbstbehauptung und Selbstermächtigung– also zu Fragen der Macht. Eine absolute moralische Überlegenheit des einen moralischen Systems über das andere gibt es nicht. Aber da eben jedes moralische System seinen Wert hat, müssen wir auch unser jetziges nicht geringer schätzen als andere. Tatsächlich zeichnen sich die Goldene Regel oder noch etwas sublimer deren Weiterentwicklungen von Kant (kategorischer Imperativ) und später Rawls und anderen durch ihre Vernünftigkeit aus. Vernünftige Systeme des Zusammenlebens ermöglichen ein erfreuliches Zusammenleben. Wobei sich freilich die Frage danach, was genau im Einzelnen als » vernünftig« gilt und erfreulich, immer wieder verschiebt, verändert und erneuert werden muss. Man muss das Wesentliche immer wieder mit seinem Hirzen neu sehen und entstehen lassen.

Der sehr dicke und der sehr dünne Mann
    An einem schönen Frühlingstag sitzen der sehr dicke Mann und der sehr dünne Mann jeweils allein an nebeneinanderstehenden Tischen im Garten eines gutbürgerlichen Restaurants.
    Der sehr dicke Mann (dem Kellner die Karte reichend): Ich nehme das Ochsencarpaccio mit den Wachteleiern als Vorspeise, dann die Lammhaxe und dann… schau’n wir mal, da bringen Sie mir einfach die Dessertkarte noch mal.
    Der Kellner: Sehr gern. Und zu trinken? Nur Wasser?
    Der sehr dicke Mann: Um Himmels willen, nein, nein, den grünen Veltliner.
    Der Kellner: Sehr gern. (Er wendet sich dem sehr dünnen Mann zu, der während der ganzen Zeit missmutig in die Karte geguckt hat.) Und was darf ich Ihnen bringen?
    Der sehr dünne Mann: Ein rein veganes Gericht bieten Sie nicht an?
    Der Kellner: Nein, tut mir leid, mein Herr. Unser Lokal heißt » Bacchus«. (Er zwinkert dem sehr dicken Mann zu.)
    Der sehr dünne Mann: Aber Sie haben auch nichts wirklich Vegetarisches. Da ist ja überall Fleisch dabei.
    Der Kellner: Hm, ich könnte den Koch bitten, bei den Gnocchi die Rinderlendenstreifen wegzulassen und dafür mehr gedünstetes Gemüse hineinzutun.
    Der sehr dünne Mann: Aha… wo kommt denn Ihr Gemüse her?
    Der Kellner: Vom Markt, denke ich.
    Der sehr dünne Mann: Wissen Sie, ich frage nicht, um Sie zu schikanieren, und ich weiß schon, dass Sie mich für eine Zumutung halten, das

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