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Morgen trauert Oxford

Morgen trauert Oxford

Titel: Morgen trauert Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Stallwood
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zunächst eine Stärkung in Form eines netten Essens und eines starken Drinks zu sich zu nehmen und sich dann eine ausgiebige Nachtruhe zu gönnen, ehe sie dem Stress erneut die Stirn bot. Aber zunächst wollte sie noch kurz bei Blackwell’s vorbeischauen.
    Beim Verlassen der Buchhandlung blieb sie kurz stehen und zückte ihre Geldbörse. Der Straßenmusiker mit der Flöte, der vor dem Trinity College musiziert hatte, war fort. Seinen Platz hatte ein Geiger eingenommen. Da Kate es ausgesprochen gerne sah, wenn das Zentrum von Oxford mit Musikdarbietungen aufgeheitert wurde, warf sie im Vorübergehen eine Münze in seinen Hut. Als sie jedoch die Börse wieder in die Tasche steckte, ertastete sie einen länglichen Metallgegenstand. Ein Schlüssel. Der Schlüssel zu Olivias Büro. Wahrscheinlich hatte sie ihn in Gedanken eingesteckt. Natürlich! Olivia hatte die Tür offen gelassen, als sie Liam nachgelaufen war; Kate war einfach hinterhergegangen und hatte den Schlüssel völlig vergessen.
    Nur sehr kurz erwog sie die Möglichkeit, umzukehren und den Schlüssel an seinen Platz zu legen. Der Gedanke, sich erneut eine Robe borgen zu müssen, hielt sie ab. Was würde Olivia wohl tun, wenn sie den Schlüssel nicht mehr vorfand? Doch dann fiel ihr der Zustand des Büros ein. Wahrscheinlich war Olivia daran gewöhnt, Dinge zu verlegen. Möglicherweise würden Wochen vergehen, ehe sie bemerkte, dass der Schlüssel fehlte. Und obendrein bot sich hier die Lösung zumindest eines Problems: Bisher hatte Kate nur flüchtig darüber nachgedacht, wie sie die Manuskripte zurückbringen sollte, nachdem sie sie verglichen hatte. Jetzt war es ganz einfach. Sie musste nichts weiter tun, als an den Pförtnern vorbeizugehen, als gehöre sie zum College, die Treppe hinaufzusteigen, Olivias Büro aufzuschließen, die Manuskriptseiten an die richtige Stelle zu legen, hinauszugehen, abzuschließen und den Schlüssel wieder auf den Rahmen zu legen. Eine Kleinigkeit. Zumindest, solange niemand sie dabei erwischte.
    Während Kate nachdachte, war sie stehen geblieben und hatte versunken auf den Bürgersteig gestarrt. Irgendwann drehte sie sich um und ging weiter die Broad Street hinunter. Plötzlich fiel ihr eine Gestalt auf, die unentschlossen vor sich hin schlenderte. Es war die junge Frau im dünnen weißen Kleid und den Sandalen. Sie schwankte und Kate fürchtete fast, sie würde hinfallen. Als sie erkannte, dass Kate sie beobachtete, versuchte sie, ihre Strickjacke fest um ihren Körper zu ziehen. Kate hatte den Eindruck, sie versuche etwas unter der Jacke zu verbergen.
    »Alles in Ordnung? Haben Sie sich verletzt?«
    Entsetzt blickte das Mädchen an sich hinunter und dann in Kates Gesicht. »Nein, ich nicht. Mir geht es gut. Ehrlich.«
    Hatte sie erwartet, etwas zu sehen? Was war mit ihr los? Oder war es wieder einmal nur eines von diesen Oxford-Spielchen? Zu viel Mourning Ale vielleicht? Doch das schien es nicht zu sein. Im Gesicht der jungen Frau las Kate echte Verzweiflung.
    Auf der anderen Straßenseite, vor dem Sheldonian Theatre, sprang eine ausgemergelte Gestalt mit einem Schild, das verkündete, der junge Mann sei heimatlos und hungrig, plötzlich mit überraschender Energie auf und kam über den Fahrdamm auf sie zu. Der Geiger hinter Kate hatte aufgehört zu spielen. Kate hörte, dass auch der Straßenmusiker mit der Flöte sich näherte.
    »Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«, drängte Kate. Sie spürte, wie das Mädchen ihr entglitt. »Ich glaube, Sie brauchen Hilfe«, fügte sie hinzu.
    »Ja«, sagte das Mädchen, und mit einem Mal blickte sie Kate zielbewusst und intelligent an. »Sie haben Recht. Helfen Sie mir bitte.«
    Und jetzt konnte Kate sehen, was die junge Frau unter ihrer Jacke verbarg. Es war eine Puppe. Eine Baby-Puppe mit einem weißen Häubchen. Vielleicht hatte das Mädchen ja auch nur ein etwas schlichtes Gemüt.
    »Angel«, ertönte eine sanfte Stimme zur Rechten von Kate. Der Bettler war zu ihnen getreten. Kate spürte die Anwesenheit des Straßenmusikers in ihrem Rücken und sah, wie das Mädchen unruhig wurde.
    »Sie scheint krank zu sein«, sagte sie. »Ich habe versucht, ihr zu helfen. Sollten wir nicht besser einen Krankenwagen rufen?« Während sie sprach, tastete sie in ihrer Handtasche herum. Sie suchte das kleine Leder-Etui, das sie immer bei sich trug. Ihr war klar, dass die beiden jungen Männer jede offizielle Hilfe ablehnen würden. Sie waren nicht die Art Mensch, die man zu jemandem wie Paul Taylor

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