Morgen trauert Oxford
Schrift bekommen und ihr eigenes Alphabet zusammengestellt hatte, konnte sie problemlos zu den Kopien übergehen und an die Rückgabe der Originale denken. Sie übersetzte einige Worte und machte deutliche Fortschritte, nach dem sie festgestellt hatte, dass die von Brendan erwähnte andere Form des Buchstabens S wie ein F aussah.
Einige Male fühlte Kate sich versucht, die fertige Transkription umzudrehen und nachzuschauen, was Olivia aus dem Text gemacht hatte. Doch schnell wurde ihr klar, dass sie zunächst selbst erkennen musste, was sie in Marias Briefen las, ehe sie sich Olivias Version widmete.
Kate war sich durchaus bewusst, wie sehr sie darauf erpicht war, in den Manuskripten eine Anregung für ihr eigenes Werk zu finden. Es war höchste Zeit, dass sie endlich einmal einen originellen Roman schrieb, ein Buch, das sich besser verkaufte als die wenigen Auflagen, zu denen sie es in ihrer Schriftstellerkarriere bisher gebracht hatte. Ein Roman über Maria Ternan mit Enthüllungen über Charles Dickens, die sich zum Zeitpunkt der Veröffentlichung als historisch belegt erwiesen, wäre genau das Richtige.
Sie begann mit Seite dreiundvierzig.
Angel saß in ihrem Zimmer auf dem Bett und blickte auf die Frisierkommode. Sie hatte die Baby-Puppe so gelegt, dass das Licht von der Seite kam und das Plastikgesicht fast lebendig erscheinen ließ, weil die starren, blauen Augen im Schatten lagen.
Einfach nur so dazusitzen und die Puppe zu betrachten gestattete ihr, die Ereignisse des vergangenen Tages in der kalten Versenkung ihrer Erinnerung zu verstauen. Spurlos gingen sie in den Trümmern ihrer Vergangenheit unter. Solange sie die Puppe ansah – das wusste sie – war sie in Sicherheit.
Nachdem sie nach Hause gekommen war, hatte sie sofort ein Bad genommen und ihre Kleider gewechselt. Die Kleidungsstücke hatte sie in die Waschmaschine gesteckt, eine möglichst hohe Temperatur gewählt und im Vorwaschgang sogar das aggressive Waschmittel benutzt, das Coffin überhaupt nicht mochte. Jetzt waren sie wirklich sauber. Nach der Szene mit Olivia hatte Angel sich besudelt gefühlt. Wurde sie allmählich schrullig? Vielleicht sollte sie tatsächlich auf Dime hören und mehr Pizza essen. Das würde sie auf den Boden zurückbringen.
Sie brauchte nicht wegzulaufen. Sie gehörte zu einer Familie, die sich um sie kümmerte. Ant und Coffin und die anderen würden sie vor dem Entsetzen in jenem Büroraum schützen. Sie musste sich nur auf die Puppe konzentrieren.
Ehe sie die Jacke wusch, hatte sie die Visitenkarte der blonden Frau an sich genommen. Vielleicht würde sie sie nie benutzen, aber es war tröstlich, eine Telefonnummer und eine Adresse zu haben. Manchmal vermisste sie die Gesellschaft einer anderen Frau. Was nicht bedeutete, dass die Blonde je verstehen würde, was ihr widerfahren war. Dazu war wohl niemand in der Lage.
Die Karte gefiel Angel. Sie war in einem sanften Grauton gehalten. Um die Initiale K rankten sich Blumen und mythische Tiere, und der Text war in einem ins Grünliche spielenden Blau gedruckt. Fridesley. Angel würde sich erkundigen müssen, wo der Stadtteil lag. Oxford war nicht besonders groß; wahrscheinlich könnte sie Fridesley in höchstens einer halben Stunde Fußmarsch erreichen.
Als sie später die Kleider aus dem Trockner nahm, stellte sie fest, dass sie die Jacke besser nicht mit den anderen Sachen zusammen gewaschen hätte. Die ganze Ladung war grün verfärbt und die Jacke in der hohen Waschtemperatur hoffnungslos verfilzt. Angel hielt sie hoch und betrachtete sie. Sie konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, wo das Teil herkam, aber jetzt war es sowieso verdorben. Sie überlegte kurz, ob sie es Ant für seinen Laden zur Verfügung stellen sollte, doch wahrscheinlich würde er die Jacke für wertlos halten und wegwerfen. Und mit ziemlicher Sicherheit würde ihm die Verfärbung ihres ehemals weißen Kleides ganz und gar nicht gefallen.
Es wurde dämmrig. Angel saß noch immer auf dem Bett und starrte in den einsamen Lichtfleck.
Die Puppe lag nach wie vor auf der Frisierkommode, lächelte und blickte unbeweglich geradeaus. Das Baby mit dem weißen Baumwollhäubchen.
»Wie machen Sie das eigentlich?«, erkundigte sich Paul.
»Was meinen Sie?«
»Ein Buch zu schreiben. Arbeiten Sie zunächst einen detaillierten Plan aus, setzen sich dann hin und beginnen mit dem ersten Kapitel?«
»Meistens fange ich mit einem Vorschuss vom Verlag und einem vertraglich festgelegten
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