Morgen trauert Oxford
Mobiltelefon an und überlegte, wie sie Paul Taylor erklären sollte, was ihr bei Brendan Adams um Haaresbreite geschehen war. Schließlich stieß sie einen tiefen Seufzer aus, verstaute das Handy wieder in der Handtasche und fuhr langsam zurück nach Oxford.
Angel saß auf einem Stuhl vor der Frisierkommode in ihrem Schlafzimmer. Die Puppe saß leicht versetzt vor ihr. Immer, wenn Angel von ihrer Arbeit aufsah und aus dem Fenster blickte, weil sie über ein Wort oder einen Satz nachdachte, blickte sie unwillkürlich die Puppe an.
In Wirklichkeit sah sie natürlich ganz und gar nicht wie Daisy aus, aber Angel hatte ihr inzwischen so oft ins Gesicht geschaut, dass sie allmählich die Züge ihrer Tochter anzunehmen schien. Wenn sie versuchte, sich ihr Kind vorzustellen, kam ihr das Gesicht der Puppe in den Sinn. Genau genommen stimmte nur das weiße Häubchen. Daisys heißgeliebtes, weißes Häubchen. Sie wollte es immer aufgesetzt bekommen, auch noch, als längst schon Winter war.
An jenem Tag hatte sie es ebenfalls getragen.
Sie trug es auch, als man sie in ihren kleinen, weißen Sarg legte. Zumindest ein ganz ähnliches. Angel wusste es, weil sie ein Foto besaß. Sie selbst hatte mit Metallnägeln im Bein und schweren Schmerzmitteln im Kopf im Krankenhaus gelegen und nicht gewusst, was da vor sich ging. Aber ehe sie ihr das Kind weggenommen und in der kalten Erde begraben hatten, hatten sie ein Polaroidfoto zur Erinnerung geschossen. Vielleicht glaubten sie, dass sie Daisys Tod sonst nicht akzeptiert hätte. Aber Angel erinnerte sich noch sehr genau daran, wie Daisy über die Motorhaube des Autos geschleudert war, das Dach streifte und hinter dem Wagen auf der Straße aufprallte. Niemand hätte einen solchen Unfall überlebt. Und ganz bestimmt nicht ein Kind von zehn Monaten.
Danach konnte sie sich nur noch an Schmerz erinnern.
Angel war froh, dass die grüne Jacke weg war. Natürlich hatte Ant Recht gehabt. Sie hatte nicht die ganze Wahrheit gesagt, als diese Kate im Laden so viele Fragen stellte. Jemand hatte sie in die grüne Jacke gehüllt, weil ihr kalt gewesen war. Auch die Puppe hatte er ihr gegeben. Sie hatte sie unter der Jacke an sich gepresst. Kate Ivory hatte es gesehen und sich darüber Gedanken gemacht, aber sie hatte nicht erfahren, wer die Jacke aus Olivias Büro genommen und ihr gegeben hatte. Und Angel hatte nicht die Absicht, es jemals jemandem zu sagen. Kate Ivory war längst nicht so schlau, wie sie dachte. Sie hatte nicht alles erfahren.
Angel saß mit einem Stift in der Hand vor ihrem aufgeschlagenen Tagebuch.
Ihr Gesicht sieht ganz weiß aus , sogar gegen das weiße Innenfutter des Sargs . Babys begräbt man in Weiß . Wusstest du das? Ein kleiner , weißer Sarg . Ein einzelner Mann kann ihn hochheben und tragen . Weiße Blumen . Lilien mit gelben Staubfäden . Bei den Lilien war eine mit meinem Namen unterschriebene Karte . Sie haben es für mich gemacht . Ich wusste nichts davon , aber ich bin froh , dass sie das für mich getan haben . Und für die Kleine .
Früher glaubte man , dass tote Kinder sofort in den Himmel kommen und zu Engeln werden . Engel Daisy . Ich finde , das klingt lächerlich .
Todesengel .
Kate hatte ihrer Sehnsucht nach Gesellschaft nachgegeben und Paul Taylor angerufen. Zusammen saßen sie in der Küche. Kate bereitete ein tröstliches Mahl.
Sie füllte den Kessel und legte Brotscheiben unter den Grill. »So kann man die Scheiben dicker schneiden als für den Toaster«, erklärte sie, während sie Butter, Marmelade, Honig, Kekse und ein Stück Karottenkuchen auftischte, das ihre Freundin Camilla vor ein paar Tagen vorbeigebracht hatte. »Milch? Zucker?« Sie stellte beides zusammen mit zwei Tellern auf den Küchentisch. Falls Paul sich wunderte, warum sie das tröstliche Mahl brauchte, stellte er zumindest keine Fragen.
»Bedienen Sie sich«, forderte sie ihn auf und schenkte Tee ein. »Haben Sie das Haus der Familie schon gefunden?«
»Ihr Freund Dime hat sich bei der Übermittlung der Adresse nicht gerade viel Mühe gegeben. Ich suche noch immer. Bisher ohne Erfolg.«
»Und warum setzt man nicht einfach eine Hundertschaft Polizisten ein?«
»Weil ich der Einzige bin, der den Hinweis für wichtig hält.«
»Oh. Ich habe noch eine Information für Sie. Als ich mit allen zusammen gesprochen habe und dabei die Puppe erwähnte, konnte ich an ihren Gesichtern ablesen, dass sie genau wussten, wovon ich sprach. Aber sie wollten meine Frage nicht
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