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Morgenrot

Morgenrot

Titel: Morgenrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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unfähig, sich zu rühren.
    Wenn sie gleich die Augen öffnete, was würde sie sehen?
    Langsam hob sie die Lider und sah Adam an. Auf seinem unwirklich schönen Gesicht war nicht eine Spur der Maske zu finden, die er in ihrer Gegenwart so lange getragen hatte. Er war ganz bei ihr, nichts in ihm zögerte oder schreckte gar zurück.
    Obwohl es sie reizte, endlich seinen ausgestreckten Körper zu betrachten, konzentrierte sie sich auf sein Gesicht. Sie strich ihm das Haar zurück und beobachtete die Züge, die in ihrer Jugendlichkeit nicht recht zu dem Mann passen wollten, den Lea kannte. Ihre Finger glitten über die angedeuteten Vertiefungen um die Augen, die kaum nennenswerten Querfalten auf der Stirn. Adams Gesicht verriet nur wenige Spuren von Lebenserfahrung, trotzdem glaubte sie eine seltsame Anspannung der Muskulatur unter der Haut erspüren zu können. Ein weitgehend unberührtes Gesicht, höchstens Anfang dreißig, das zu einem Wesen gehörte, das schon zu viel gesehen und erlebt hatte.
    Er sieht beinahe jünger aus als ich, stellte sie erstaunt fest und fragte sich zum ersten Mal, in welcher Lebensphase Adam wohl zu demgemacht worden war, der er jetzt war. Mit einem Mal wurde ihr bewusst, dass sein Äußeres sich nicht verändert hatte, seitdem sie ihn kennengelernt hatte. Diese Stagnation irritierte sie. So unberührt durchs Leben zu gehen, hatte etwas Seelenloses an sich.
    Adam regte sich kurz, wie um sie aus ihren Gedanken und wieder zu sich zurückzuholen. Doch als Lea ihn anschaute, schenkte er ihr lediglich ein entspanntes Lächeln und kuschelte sich tiefer in ihren Schoß. Während seine Lider schwer wurden und sich langsam schlössen, wanderten ihre Gedanken zu den antiken Göttern der Griechen. Unsterblich und ewig jung, konnten sie sich auch nicht entwickeln, steckten in ihrer Rolle fest. Vielleicht machte ja genau das Adam zu etwas Besonderem: Er hatte sich weiterentwickelt. Er war in der Lage gewesen, eine Entscheidung zu treffen. Seinen eigenen Weg zu gehen.
    Während Lea sein Gesicht studierte, entspannte sich sein Körper zusehends, und seine Lippen öffneten sich leicht. Das Zucken der geschlossenen Augenlider beruhigte sich nach und nach, bis es schließlich ganz aufhörte. Adam war in ihren Armen eingeschlafen.
     

22. Die Entführung
    Die Zeit verstrich unbemerkt, während Lea auf Pfaden wandelte, die auf kein Ziel gerichtet waren. Sie streifte Erinnerungen an das schnappende Geräusch vom Feuerzeug ihrer Mutter, dem Rhythmus ihrer Kindheit, und verweilte an einem Ort, an dem Gedichtfetzen, Songtexte und Impressionen von Gemälden umherschwirrten. Ungewöhnlich lange hielt sie vor einer Collage inne, die sich aus mentalen Schnappschüssen von Adam zusammensetzte: sein lächelnder Mund ... das Seitenprofil wie ein Scherenschnitt ... die Stirn störrisch gerunzelt ... seine entspannten Züge, kurz bevor er einschlief. Als sie einen Ausschnitt entdeckte, auf dem er verblüfft aussah, freute sie sich besonders eine wahre Rarität. Sie ließ sich weitertreiben, vorbei an Bruchstücken aus Unterhaltungen, dem Farbspiel eines Sommercocktails, den Nadine für sie bestellt hatte, eine zärtliche Berührung an ihrer Schulter, bis sie das dunkle Wasser des Sees aufgriff und es in eine unendlich einsame Meereslandschaft verwandelte.
    Lea war derartig in ihren inneren Kosmos versunken, dass sie gar nicht reagierte, als ihre Taille mit festem Griff umschlungen wurde und sich eine Hand über ihren Mund legte. Erst als die Worte »schwitzig« und »weich« in ihr Bewusstsein drangen, wurde sie in die Gegenwart zurückkatapultiert.
    Adam war nicht »schwitzig« und »weich«!
    Ein Zischen, als entwiche einem Kolben Druck, riss sie endgültig aus ihrer Verträumtheit. Sie blinzelte und blickte auf ein paar Wurstfinger, die gerade ein metallisch schimmerndes Gerät vonAdams Hals entfernten, wonun ein blutrotes Mal aufleuchtete.Adams schmerzverzerrte Gesichtszüge entspannten sich im selben Augenblick.
    »Das war fast zu einfach«, sagte eine näselnde Stimme, die unangenehm vertraut klang. »Aber auch sehr klassisch. Denn was macht man mit einem gefährlichen Wachhund? Man betäubt ihn, ehe er zuschnappen kann.«
    Obwohl alles in Lea vor Wut und Verzweiflung aufbrüllte, unternahm sie keinen Versuch, den Griff, mit dem ihre Arme an den Körper gepresst wurden, abzuschütteln. Wer immer sie von hinten gefangen hielt, war unleugbar stark. Stattdessen widmete sie sich der Gestalt, die auf Augenhöhe vor ihr

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