Morgenrot
Menschen in mir, ganz gleich, wie beschadet er auch sein mag. Das bedeutet auch, dass ich dich auf keinen Fall verwandeln werde, Lea. Ich will dich und nicht das Geschöpf, das mir der Dämon an die Seite stellen will. Selbst wenn die gemeinsame Zeit dadurch endlich wird. Das heißt, wenn du damit leben kannst, eine Dreiecksbeziehung zu führen.«
Er versuchte zu lächeln, aber seine Augen blieben ernst. Lea nickte nur erschöpft und verwob ihre Finger mit seinen. Zum ersten Mal, seit sie ihn getroffen hatte, hatte sie das Gefühl, schweigen zu können. Er wusste auch so, dass sie sich längst für ihn entschieden hatte und nie wieder davonlaufen würde.
Und so verstrichen die Tage, wurden länger und wärmer. Der neue Lebensrhythmus und das abgeschiedene Leben am See übten eine ganz eigene Art von Heilungszauber aus. Weit weg von Pi und seinem vergifteten Spinnennetz wirkte die Luft klarer, als könne man endlich wieder seine Lungen füllen, ohne befürchten zu müssen, Asche einzuatmen.
Mit schweren Lidern ließ Lea den Blick über die überdachte Veranda streifen: Eine feine Moosschicht hatte das blassrosa Mosaik der Bodenfliesen überwuchert. Terrakottatöpfe stapelten sich in der Ecke, und auf einer Arbeitsbank aus verblichenem Teakholz rostete Gartenhandwerkszeug vor sich hin. Von den schön geschwungenen Bögen, die das überwucherte Glasdach der Veranda hielten, blätterte die einst weiße Farbe in breiten Streifen ab.
Vor ihrem geistigen Auge verschwand alles moosige und unkultivierte Grün, die Töpfe standen geschrubbt und mit Orangenbäumen und Ranunkeln bepflanzt in Reih und Glied, und sie selbst lümmelte sich auf einem der frisch geölten Holzmöbel, die augenblicklich noch im Lagerschuppen hinter der Hütte vor sich hinschimmelten.
Das Klingeln des Telefons riss Lea aus dem Tagtraum. Viel zu hastig griff sie nach dem Apparat, der auf dem Beistelltischchen lag, und hörte ein unangenehmes Knacken in ihrer Schulter, die noch nicht wieder ganz in Ordnung war.
»Hallo?«, sagte sie atemlos, während sie versuchte, das Gleichgewicht wiederzufinden.
Durch den Hörer drang lediglich ein lautes Knacken, dann ein Zischeln. Lea wartete ab, diese Geräuschkulisse kannte sie bereits.
»Nadine, ich kann dich nicht verstehen, die Leitung ist zu schlecht.«
Nach der Heimsuchung durch Macavity hatte Nadine sich ebenfalls für eine Auszeit entschieden. Auf eigene Verantwortung hatte sie noch am selben Tag das Krankenhaus verlassen und den Polizeibeamten, der sie zu einer Aussage überreden wollte, mit einer unfeinen Handgeste brüskiert. Kurz entschlossen hatte sie sich zu einem Survival-Urlaub in der Wüste angemeldet und wanderte und schwitzte sich den Schrecken ihres Lebens nun aus dem Leib.
Das Knacken verschwand aus der Leitung. »Und jetzt, verstehst du mich jetzt, verdammt noch mal?« Nadines Stimme klang so hohl, als spreche sie durch ein Rohr.
»Hallo, du Königin der Wüste!« Ein fröhliches Lachen fand seinen Weg über Leas Lippen. »Wie spät ist es jetzt bei dir?«
»Vergiss die Uhrzeit! Ich habe einen neuen Schlachtplan, um Pi samt seiner Sippschaft die Hölle heißzumachen, sobald ich zurück bin.«
Bevor Nadine so richtig in Fahrt kommen konnte, unterbrach Lea sie: »Geht es den Blasen an deinen Füßen besser? Kahel hatte dir doch so eine besondere Salbe gegeben.«
Nadine brauchte einen Augenblick, um dem geistigen Haken, den Lea geschlagen hatte, folgen zu können. Dann murmelte sie etwas Unverständliches, und Lea glaubte schon, dass sich dieVerbindung wieder verschlechtert habe. Mit einem Stirnrunzeln klopfte sie gegen den Hörer.
»Lass das Geklopfe sein, oder willst du, dass ich taub werde? Diese Blasen sind wirklich hartnäckig, aber Kahel sagt, das wird schon wieder. Ich vertraue ihm da auch voll und ganz. Der Mann verfügt über intuitive Weisheit.«
Kahel war der von Nadine angeheuerte Fremdenführer, der offensichtlich genau die Art von Sanftheit und stoischem Gleichmut an den Tag legte, die Nadine brauchte, um ihren Seelenfrieden wiederzuerlangen. Was Kahel sagte, war im Lauf der letzten Wochen immer wichtiger geworden, während Nadines Pläne, wie sie Pis Imperium in den Abgrund stürzen wollte, allmählich an Bedeutung verloren.
Trotzdem war Lea erleichtert gewesen, als Nadine zu Beginn ihrer Reise noch Gift und Galle gespuckt hatte: Zwar war es Macavity gelungen,sie zu verletzen und bis aufs Äußerste zu demütigen, aber ihren Wesenskern nachhaltig anzugreifen, war
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