Morgenrot
schloss die Augen, lehnte sich mit dem Hinterkopf gegen die Wand und streckte das Bein durch. Ein Lächeln hatte sich aufsein Gesicht geschlichen, als er knapp antwortete: »Ich weiß.«
»Nun gut, ich hätte nicht zu dir kommen dürfen, jedenfalls nicht in diesem Zustand. Etwas hier hat mich angezogen, aber es zieht mich eigentlich jede verfluchte Nacht hierher, seit ich dich das erste Mal in Etiennes Haus gesehen habe. Wenn ich nicht so verwundet wäre, hättest du mich allerdings nicht bemerkt. Mein Fehler.«
Adam schenkte Lea ein gebrochenes Lächeln, woraufhin all die tausend Fragen, die ihr durch den Kopf schössen, schlagartig verstummten. Eine einzigartige Gabe, denn ansonsten gelang es niemandem, Leas immerzu ratternden Verstand abzuschalten. Bei Adam reichte sein bloßer Anblick, um den gerade erlebten Wahnsinn zu vergessen. Schüchtern lächelte sie ihn an.
Zu gern hätte sie dem Kribbeln in ihren Fingerspitzen nachgegeben und seine Wange gestreichelt, da begann Adam den provisorischen Verband von seinem Unterarm abzuwickeln. Auch hier liefen drei tiefe Schnitte quer über das Geflecht aus Adern, die weißen Ränder quollen auseinander, gaben ein dunkles Durcheinander im Fleisch preis. Es kostete Lea alle Kraft, einen Aufschrei zu unterdrücken. Sie glaubte, zerschnittene Venen und das lose Ende einer Sehne zu erblicken. Noch mehr als die entsetzliche Verletzung schockierte sie jedoch, dass sich die Wundränder langsam zusammenzogen.
»Noch ein paar Stunden und es wird nichts mehr zu sehen sein«, erklärte Adam sachlich. »Alles kehrt wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurück. Es ist eine Art Krankheit, schwierig zu erklären. Vermutlich wärst du nicht damit einverstanden, die heutige Nacht einfach zu vergessen, oder?«
Erneut schenkte er Lea ein Lächeln, das sie dieses Mal mit einem wütenden Schnauben bedachte.
»Habe ich mir fast schon gedacht«, sagte Adam in einem leicht amüsierten Tonfall. Er schien eine Entscheidung getroffen zu haben und wirkte beinahe erleichtert. Instinktiv rückte Lea ein Stück von ihm ab, als ahne sie, was Adam ihr nun erzählen würde. Der Blick, den er ihr zuwarf, machte klar, dass er ihre Furcht nur allzu gut verstand.
»Ich denke, du würdest es einen Dämon nennen«, sagte Adam mit einer Ruhe, die kaum zu seinen Worten passte. »Er ist einer. Und doch ist er viele. Er bemächtigt sich deiner voll und ganz, dringt in jede Zelle deines Körpers ein. Indem er deinen Körper wie ein Gefäß ausfüllt, konserviert er ihn zugleich. Wenn ich mich also schneide, wird der Dämon die Wunde schließen, um den alten Zustand wiederherzustellen. Wie ein zurückschnellendes Gummiband.« Er schnipste mit den Fingern, und Lea zuckte zusammen. »Allerdings entbindet einen der Befall durch den Dämon auch vieler menschlicher Eigenarten: Man friert und schwitzt nicht länger, mit dem Schlaf ist es vorbei und auch mit dem Altern. Eigentlich gibt es nur noch eine drängende Verpflichtung: Der Dämon will hofiert werden.«
Lea schaute Adam verständnislos an, aber der schwieg nun. Dann begriff sie mit einem Mal das Gesagte, und die Erkenntnis ließ ihren Atem stocken. »Adam, wessen Blut war das auf deinem Gesicht?«
»Du denkst in die richtige Richtung«, erwiderte er ruhig und suchte dabei ihren umherirrenden Blick. »Das Blut von vorhin hat jedoch nichts damit zu tun. Es stammt aus einer unvorhergesehenen Begegnung mit jemandem meiner Art, einer Söldnerin. Ich bin ihr früher schon begegnet, aber, ehrlich gesagt, hat mich der heutige Zusammenstoß ziemlich aus der Bahn geworfen ... Und bevor du mir vollkommen entsetzt deine Frage noch mal stellst: Es gibt elegantere Wege, um an Blut heranzukommen, als Ahnungslose in dunklen Gassen zu überfallen. Normalerweise laufe ich nicht blutbesudelt durch die Straßen.«
Lange Zeit gingen sie schweigend nebeneinander durch die nächtlich verlassene Stadt, begleitet vom unregelmäßigen Flackern der Laternen. Der Wind hatte am Abend zuvor warme Luft von der Küste mitgeführt, wodurch die Schneedecke ein wenig an Herrlichkeit eingebüßt hatte. Doch in der Nacht hatte der Frost verlorengegangenes Territorium zurückerobert, so dass nun alles von einer glitzernden Schicht überzogen und die Wege in eine gefährliche Eisfläche verwandelt worden waren. Nebelfetzen hingen tief über der Straße und ließen die wenigen Autos, die in dieser merkwürdigen Zwischenzeit bis zum Morgenrot unterwegs waren, träge dahinschleichen. Kälte und
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