Morgenrot
dir etwas von mir gebe, damit er mit dir verschmelzen kann ... damit wir beide miteinander verschmelzen können. Und nein: Ich werde dir nicht die Halsschlagader zerfetzen und von deinem Blut trinken, bis dein Herz stillzustehen droht, damit du dich drei Nächte später aus deinem Grab erhebst.Vergiss den Blödsinn. Der Dämon dringt gewiss nicht in einen beschädigten Tempel ein. Nein, ich würde dir etwas von mir geben.«
»Aber das willst du nicht«, stellte Lea traurig fest. »Du bist nicht einverstanden mit der Wahl deines Dämons.«
»So ist das nicht.« Er schaute sie ernst an, und in seinen Gesichtsausdruck mischte sich eine Spur von Beunruhigung, als gebe er zu viel von sich preis. »Ich bin mit vielem uneins, was mein Dasein betrifft. Jemanden zu erkennen bindet, legt fest. Eine Gefährtin anzunehmen macht einen noch empfindsamer gegenüber dem Dämon. Und abhängiger, weil eine Gefährtin immer auch ein Geschenk ist ... Ich weiß nicht, wie ich es dir erklären soll. Du müsstest mehr darüber wissen, was es bedeutet, von meiner Art zu sein. Etienne sagt, er würde seine unsterbliche Seele für einen Weggefährten geben, wenn er denn noch eine Seele hätte.«
Adams Hand ballte sich zu einer Faust, bis die Knöchel weiß hervortraten und eine fast verheilte Wunde erneut aufbrach. Als er sich dessen bewusst wurde, grub sich eine tiefe Falte zwischen seine Brauen. »Aber was soll daran reizvoll sein? Nach all den Jahren bist du plötzlich an jemanden gebunden, den du dir in keiner Weise erwählt hast. Der Dämon setzt sich über die wenigen Wünsche, die dir geblieben sind, einfach hinweg. Wie sehr du dich auch bemühst, deinen eigenen Weg zu gehen, jemanden zu erkennen, macht dir unweigerlich bewusst, wie wenig dir der Dämon gelassen und wie viel er genommen hat.«
Erschöpft brach Adam ab, und Lea hätte viel dafür gegeben, den Ausdruck auf seinem Gesicht sehen zu können. Doch er hatte sich abgewandt und starrte wieder auf das Spiel des Eises.Traurigkeit breitete sich in Lea aus, als habe man sie einer einmaligen Chance beraubt: »Nicht du hast mich erkannt, sondern der Dämon in dir.«
»Das stimmt nicht«, erwiderte Adam überraschend hart. Er suchte ihren Blick, nicht drängend; als er ihn jedoch eingefangen hatte, hielt er ihn fest. »Der Dämon hat etwas erkannt. Aber ich auch. Ich weiß nur nicht, was es ist. Jedenfalls bin ich im Moment nicht bereit, das Risiko einzugehen, dass er dich vernichten könnte - wie sehr er auch drängen mag. Als ich heute Nacht zu dir kam, lag es nicht nur am Willen des Dämons, sondern auch daran, dass ich etwas bei dir gesucht habe:Wärme und Trost.« Er drehte ihr erneut den Rücken zu. »Wie gesagt, ich verstehe es selbst nicht.«
Schweigend kehrten sie zu Leas Wohnung zurück, jeder den eigenen Gedanken nachhängend. Inzwischen hatte sich trübes Dämmerlicht ausgebreitet, doch dieser Morgen bot Lea nicht das Gefühl eines Neuanfangs, obwohl Adam an ihrer Seite war.
Als sie vor ihrer Zimmertür standen, machte er keine Anstalten einzutreten. »Du musst erschöpft sein«, stellte er nüchtern fest.
Lea überlegte kurz, ob sie ihn unter einer fadenscheinigen Begründung hineinlocken sollte.Aber trotz der vielen Kleidungsschichten schlotterte sie am ganzen Körper, und die sonderbaren Wendungen der letzten Nacht hatten sie viel Kraft gekostet. Sie brauchte schlicht und ergreifend etwas Zeit für sich.
Außerdem regte sich bei Adams Anblick, dem Kälte und Schlafmangel nichts anhaben konnten, ihre Eitelkeit. So, wie er in seinem dünnen Wollpullover, mit samtig fallendem Haar und klaren Augen vor ihr stand, hätte er direkt von einem schön gedeckten Frühstückstisch im Salon von Professor Carrieres Stadthaus aufstehen können. Nach frisch gewaschener Haut duftend, die Morgenzeitung noch in der Hand. DieIllusion wäre perfekt gewesen, wenn da nicht das Überbleibsel eines Blutergusses auf dem Wangenknochen aufgeleuchtet hätte. Auch die dunklen Flecken auf der Kleidung und der eingerissene Halsausschnitt störten das Bild eines jungen Mannes, dem sich das Leben nur von seiner besten Seite zeigte.
Lea spielte mit dem Schlüsselbund, um Zeit zu schinden. Ein paarmal ließ sie den angeknüpften Perlenstrang durch ihre Finger gleiten, bis sie sich eingestand, dass sie dringend einige Stunden allein sein musste. Denn Adams Gegenwart wirkte wie eine wunderbare Droge, die selbst die verrücktesten Umstände in ein weiches Licht tauchte.
»Du wirst doch
Weitere Kostenlose Bücher