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Morgenrot

Morgenrot

Titel: Morgenrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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und anherrschte: »Geh auf dein Zimmer und bleib dort. Truss ist irgendwo im Keller damit beschäftigt, sich wieder zusammenzusetzen. Ich habe also nur wenig Zeit, um mit diesen beiden Spinnern fertig zu werden und dann der verfluchten Söldnerin ein Ende zu bereiten. Los, geh jetzt!«
    Obwohl Leas Beine ihr kaum gehorchten, taumelte sie an der Wand entlang in Richtung ihres Zimmers. Angst ließ sie Übelkeit und Schmerzen vergessen. Adam hatte sich von ihr abgewandt und wankte deutlich angeschlagen zum Salon, in dem Adalberts Jubelschreie
    Kaum hatte Adam ihr den Rücken zugedreht, da machte Lea eine Kehrtwende und lief die Treppe hinunter. Das Herz pochte ihr bis zum Hals und ihre Zunge rieb unablässig gegen den Gaumen. Keine Sekunde länger würde sie in diesem Haus mit seinen verfluchten Gestalten bleiben. Nichts würde sie dazu bringen, in einem Zimmer darauf zu warten, dass Adam sie aufsuchte, die Mordlust noch lebendig in seinen Augen funkelnd. Sie würde auf die Straße laufen und losrennen - fort von diesem Wahnsinn, fort von dieser Orgie der Gewalt. Wie um sie anzutreiben, erschallte von oben Adalberts gepeinigtes Schreien, und Lea wäre vor Hast beinahe über die letzten Treppenstufen gestürzt.
    In der Eingangshalle bot sich ihr der Anblick totaler Verwüstung. Die edle Seidentapete wies meterlange Kratzspuren auf, als hätte jemand versucht, sich daran festzuhalten, während er weggezerrt wurde. Das mit kostbarem Porzellan gefüllte Büffet war umgestoßen und zerborsten. Die Kristallvasen, die Lea immer so bewundert hatte, bildeten nun einen glitzernden Scherbenteppich. Als habe ein Tornado gewütet und nichts an seinem angestammten Platz gelassen.
    Vorsichtig tastete sie sich ihren Weg um alle Hindernisse herum, um bei der aus den Angeln gerissenen Eingangstür noch einmal stehen zu bleiben und zurückzuschauen. Ein Fehler, wie sie sogleich erkannte. Denn in diesem Moment schwang die angelehnte Kellertür am Ende des Flurs auf, und eine vollkommen zerschundene Truss kroch schlangenartig aus dem Keller. Die Hälfte ihrer Haare waren vom Schädel gerissen worden, das Gesicht war bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Obwohl sie Lea aus den verschwollenen Augen kaum erkennen konnte, richtete sie den Blick auf sie, und Lea sah, wie ihre Nasenflügel, ein zerschlagener Haufen Knorpel, bebten.
    Sie wird mich jagen, schoss es Lea durch den Kopf. Im Augenblick mag sie nur ein Haufen Fleisch und Knochen sein, aber sie wird sich rasch wieder erholen. Vielleicht setzt sich gerade in diesem Augenblick ihre Wirbelsäule neu zusammen oder die gebrochene Kniescheibe.
    Wie um ihre Befürchtungen zu bestätigen, stemmte sich Truss auf alle viere und kroch schwerfällig auf Lea zu. Mehr Beweise benötigte Lea nicht. Völlig von Sinnen stürzte sie aus der Villa und rannte um ihr Leben.
    Lea konnte nicht sagen, wie lange sie schon gelaufen war. Dem Brennen in ihrer Lunge und der Schwere ihrer Beine nach hätte sie die Stadt längst hinter sich gelassen haben müssen. Stattdessen umgaben sie immer noch restaurierte Villen. Erschrocken stellte sie fest, dass sie mehr taumelte als lief.
    In der frischen Schneeschicht, die Gehwege und Straßen bedeckten, waren weit und breit keine Spuren außer Leas Fußabdrücken zu entdecken. Kein Mensch war in dieser dunklen Nacht auf der Straße unterwegs. Wahrscheinlich saßen alle wodkaselig vereint vorm Fernseher und genossen einen Volksmusikabend.
    Sie hatte nicht die geringste Idee, wie sie sich in Sicherheit bringen konnte. Sollte sie an eine der Türen klopfen, bis jemand öffnete? Aber wer würde sie einlassen, wo sie doch kaum in der Lage war, einen Satz in dieser fremdartigen Sprache zustande zu bringen? Außerdem kümmerten sich die Menschen in dieser Gegend nicht um fremde Angelegenheiten. Adam und Truss hatten in ihrem Kampfrausch das halbe Haus zerstört, und trotzdem hatte offenbar niemand die Polizei gerufen. Und selbst wenn sie in eins der Häuser eingelassen werden würde, welchen Schutz konnte ihr eine Holztür vor der drohenden Gefahr bieten? Sie musste fort, nur Distanz brachte Sicherheit.
    Vor dem schmiedeeisernen Tor eines hinter hohen Mauern verdeckten Anwesens blieb Lea kurz stehen, um nach Luft zu schnappen. Bevor sie sich versah, knickten ihre Beine ein, und sie fand sich hilflos, von Seitenstichen gepeinigt, im Schnee kauernd wieder. Nach einer Weile rappelte sie sich auf, eine Hand gegen die schmerzenden Rippen gepresst, und wankte erneut die Straße entlang.

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