Morgenrot
Sims in Nadines Schlafzimmer. Als sie auf dem Parkettboden aufkam, zielte sie mit der Waffe erneut auf Macavitys Kopf. Sie spielte mit dem Gedanken, ihm das ganze Magazin in den Schädel zu jagen, konnte sich aber gerade noch zusammenreißen.
Für eine Flucht sah Nadine zu schwer verletzt aus. Lea würde Zeit schinden müssen, um einen Notruf zu tätigen. Bis sie den Klang der Sirene hörte, würde sie Macavity jedes Mal eine Kugel verpassen, sobald er versuchen sollte, sich wieder aufzurichten.
Sie überprüfte noch einmal, dass der zusammengekrümmte Macavity leblos dalag. Dann setzte sie sich neben Nadine aufs Bett, wobei sie die Waffe weiterhin mit einem Arm ausgerichtet hielt. Mit der freien Hand löste sie den Knebel, was nicht weiter schwer war. Offensichtlich war es Macavity lediglich darum gegangen, Nadines Schreie zu dämpfen. Sie vollends zu ersticken hätte ihn ja auch um seinen Spaß gebracht.
»Fuck!«, krächzte Nadine. Die Stimme klang verschnupft, was vermutlich an der gebrochenen Nase lag, aus der unentwegt ein dünner Faden Blut lief. Mühsam drehte Nadine den Kopf zur Seite und spuckte einen dunklen Schwall auf die Laken. Mit Gewalt riss Lea ihre Augen von der Lache weg, die wie frisch lackiert glänzte, bevor sie in den Stoff einsickerte.
Obgleich Macavity sich nicht rührte, verpasste Lea ihm einen Schuss, der in den Hals eindrang und die Haut wie einen Krater ausspringen ließ. Mit einem Keuchen schlössen sich seine Hände instinktiv um die Wunde und er drehte sich um.
Kurz gönnte Lea sich den Anblick seines schmerzverzerrten Gesichts. Am liebsten hätte sie es mit einer Taschenlampe ausgeleuchtet, damit sie auch die kleinste Regung wahrnehmen konnte. Vielleicht würde sie das den Schnitt vergessen lassen, der sich um Nadines Hals schlängelte. Kein gefährlich tiefer Schnitt und abseits der Schlagader, sondern verspielt und sadistisch. Hier hatte sich jemand amüsieren wollen und Wert daraufgelegt, dass das Spielzeug nicht gleich zu Anfang den Geist aufgab.
Mit einem groben Zerren versuchte Lea, Nadines hinter dem Kopf zusammengebundene Hände zu befreien. Als Nadine gepeinigt aufschluchzte, legte sie schließlich die Waffe beiseite und bemühte sich, vorsichtig, aber schnell den Knoten zu lösen. Ein schwieriges Unterfangen, denn Nadine hatte in ihrer Pein so sehr an den Fesseln gezerrt, dass die Verbundstelle wie verschmolzen war. Zudem hatte die aufgescheuerte Haut einen glitschigen Film auf der Oberfläche der Nylonkordel hinterlassen.
Leas Fingernägel glitten immer wieder an der Kordel ab und rissen schmerzhaft ein, dennoch bemerkte sie die Ansammlung frischer Brandmale über Nadines linker Brust, die sich zu dem Buchstaben M zusammensetzten. Wie gern wäre sie augenblicklich zu dem stöhnenden Mann gesprungen und hätte ihn mit bloßen Händen in Stücke gerissen. Doch Nadine, der die Befreiungsprozedur zu lange dauerte, zerrte erneut an den Fesseln, so dass Lea ihre Bemühungen verdoppelte.
In dieser Zeit gelang es Macavity, den Oberkörper an der Wand aufzurichten. Stark hin und her schwankend, hielt er mit einer Hand die Schusswunde am Hals umklammert. Zwischen seinen Finger sickerte Blut hindurch - allerdings nicht annähernd genug Blut, um ihn für längere Zeit außer Gefecht zu setzen. Mit dem freien Arm und den angezogenen Beinen versuchte er, das Gleichgewicht zu halten. Er bot einen groteskenAnblick: Fast hätte man glauben können, einen betrunkenen Mann vor sich zu haben, der gestolpert war und sich verletzt hatte.
Langsam, als gehöre sein Kopf einer Marionette, an deren Faden gezogen wurde, hob Macavity das Gesicht an und suchte Leas Blick. Direkt unter seinem linken Wangenknochen klaffte ein schwarzes Loch, dort, wo Leas erster Schuss ihn getroffen hatte. Kein schlechter Treffer, dachte Lea, während sie unablässig mit dem verfluchten Knoten kämpfte. Die verletzte Gesichtshälfte sah seltsam verzerrt aus, und das Gewebe um die Wunde wirkte aufgeworfen und verbrannt. Trotzdem konnte sie deutlich erkennen, dass das Blut inzwischen geronnen war. Der Dämon war also schon fleißig bei der Arbeit.
Macavity öffnete den Mund, es kam jedoch nur ein Schwall Blut hervor. Ein genervter Ausdruck legte sich aufsein Gesicht.
Endlich gelang es Lea, den Knoten zu lösen, und die blutverklebten Fesseln fielen aufs Bett. Nadine stöhnte auf, als Lea ihr half, die Arme nach vorn zu nehmen.Von der gegenüberliegenden Wand drang ein Gurgeln herüber, das in Leas Ohren
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