Morpheus #2
das nicht wollte. Von Bantlings letztem Versuch, der Hinrichtung zu ent-gehen, von seiner Behauptung, Chambers habe einen Partner, der irgendwo lauerte und Zeugen liquidierte, sagte er nichts. Keine von Bantlings Behauptungen hatten sich erhärtet. Masterson hatte nichts im Internet gefunden. Weder bei der Post noch beim Zoll hatte es irgendwelche dahin gehenden Beschwerden gegeben. Auch Interpol hatte nichts gehabt. Nichts, was Bantlings Geschichte von einem internationalen Snuff-Ring bekräftigt hätte.
«Es tut mir Leid, Dominick», sagte sie langsam.
«Alles. Ich will, dass du das weißt.»
«Tu das nicht, C. J.», mehr brachte er nicht heraus. Ich habe dich nicht gebeten, den Helden zu spielen. Und das würde er auch nicht mehr tun.
«Ich wünschte, ich hätte dich nicht in die Sache mit hineingezogen…»
«Das hast du nicht. Das ist ja das Problem.»
Sie zuckte zusammen und spürte einen dumpfen Schmerz in der Brust, als die Worte sie trafen. «Ich wollte nur sagen, dass es mir Leid tut», sagte sie mit erstickter Stimme. Sie schloss die Augen und wünschte, sie könnte die Uhr zurückdrehen bis zu dem Sonntagmorgen, als sie mit der Zeitung im Bett lagen, bis zu dem Wochenende in Key West, als er um ihre Hand angehalten hatte. Es gab so viele Au-genblicke. Wenn sie nur einen davon noch einmal erleben dürfte.
«Mir auch. Aber es gibt Dinge, die man nicht rückgängig machen kann», sagte er. Er schloss die Augen und schlug mit der Hand gegen die Wand. Er hatte die Kraft einfach nicht mehr. Am anderen Ende hörte er sie schniefen. «Okay», sagte er dann.
«Arbeite nicht zu viel. Viel Glück bei dem Prozess.»
«Dominick», sagte sie, ihre Stimme war nur noch ein müdes Flüstern. Sie sah zu, wie der Regen am Fenster ihres Büros herunterlief. Dann sprach sie es endlich aus: «Ich habe mich geirrt. Ich brauche dich.»
Doch es war zu spät. Er hatte schon aufgelegt.
FÜNFUNDSIEBZIG
Hüfthohes Gestrüpp wuchs auf dem Grundstück und überwucherte Propangastanks, rostige Auto-wracks und Fahrradteile. Die schiefe, grün gestrichene Hütte mit dem durchhängenden Dach wurde nach zwei Seiten von einem baufälligen Holzzaun vor den Blicken der Nachbarn geschützt; nach hinten schloss sich der Parkplatz eines verrammelten Lebensmittelgeschäfts an. In der wolkenverhange-nen, mondlosen Nacht lag der Schuppen verlassen da, Fenster und Türen waren mit Sperrholzplatten voller Graffiti vernagelt. Im Gestrüpp raschelte hier und da ein Windhauch oder ein kleines Tier, ansonsten rührte sich nichts.
Die Hütte war aus jeder Richtung praktisch unsichtbar. Selbst wer so dumm war, neugierig über den Zaun zu spähen, hätte nichts entdeckt. Nicht, dass es eine Rolle spielte. Liberty City, wo 1980 die Rassenkrawalle begonnen hatten, nach denen Miami drei Tage lang brannte, war immer noch ein sozialer Brennpunkt mit einer extrem hohen Verbre-chensrate. Eine Gegend, in der niemand etwas sah, selbst wenn es direkt vor seiner Nase passierte.
Er verbarg sich im Schatten des Hauses und tastete sich zur Hintertür vor, die in der Schwärze der Nacht auf ihn wartete. Mit der Brechstange stemmte er einen Riegel nach dem anderen auf. Mit leisem Knirschen splitterte das Holz, nicht lauter als das Rascheln im Gestrüpp. Dann glitt die Tür nach innen auf.
In der Dunkelheit der Küche knipste er die Ta-
schenlampe an und bahnte sich vorsichtig den Weg zum Flur. Einen Moment blieb er lauschend vor der Tür stehen, sein eigener Atem rauschte in seinen Ohren. Er fragte sich, ob er es schaffen würde. Hinter der Tür hörte er Dialogfetzen, dann Kommando-gelächter, wieder Stimmen und wieder das Lachen aus der Konserve. Das grelle blaue Licht eines Fernsehers flackerte aus dem Spalt unter der Tür und ließ seine Turnschuhe fluoreszieren. Ansonsten war es still im Haus. Genau wie es sein sollte. Er steckte den Schlüssel ins Schloss und zog die Magnum heraus, auf alles vorbereitet, falls etwas schief ging.
Der Knauf drehte sich klickend, dann trat er gegen die Tür. Quietschend flog sie auf und schlug krachend gegen die Wand.
Jerome Sylvester Lightner alias Lil’ Baby Jay alias LBJ – der meistgesuchte Mann in Florida – saß in einem Haufen dreckiger Kissen auf einer alten Couch. Mit leerem Blick starrte er auf den Fernseher, wo eine alte Seinfeld-Folge lief. Auf dem Boden lagen kaputte Literflaschen Billigbier und Plastikfla-schen Parrot-Rum, außerdem Fastfood-Packungen, Chipstüten und ein ganzer Haufen verbogener
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