Morpheus #2
hinausge-
führt wurde. Er sah sich im Gerichtssaal um. Die meisten waren inzwischen gegangen, Ankläger und Pflichtverteidiger packten ihre Akten ein. Und doch entdeckte er ein paar Journalisten, die es tatsächlich geschafft hatten, das ganze Programm abzusit-zen.
«Mr. Mann, Frau Staatsanwältin, wir sehen uns in meinem Büro. Mit dem Gerichtsschreiber», sagte er und erhob sich. Seine Assistentin bat er: «Janine, bringen Sie bitte die Akte Bantling mit.» Dann verließ er mit fliegendem Talar seinen Thron, sodass Hank der Gerichtsdiener kaum Zeit hatte zu rufen:
«Bitte erheben Sie sich!»
FÜNFUNDFÜNFZIG
«Es ist schon spät», sagte Richter Chaskel, als er sich ans Kopfende des Tisches setzte. Er sah auf die Uhr. «So viel Zeit hatte ich nicht eingeplant. Ich bin zum Mittagessen verabredet.» Er bedeutete den Anwesenden, Platz zu nehmen. «Ich weiß, dass Sie beide eine Menge zu sagen haben, und das meiste davon will ich nicht morgen in den Schlagzeilen nachlesen. Das wäre zu diesem Zeitpunkt völlig überflüssig. Die Presse soll nicht jeden Tag mit neuen Spekulationen kommen, deshalb wollte ich die Medien fürs Erste draußen halten.»
Der Kloß in C. J.s Magen wurde schwerer, als sie sich Neil Mann gegenübersetzte. Eine böse Ahnung stieg in ihr auf, als sie begann, die Akten von ihrem Wagen zu laden. «Euer Ehren, haben Sie meine Stellungnahme erhalten?», fragte sie langsam. «Ich hatte sie am Montag eingereicht.»
«Ja, habe ich bekommen. Aber nach reiflicher Überlegung und einer Revision des Fallrechts halte ich es für unumgänglich, dass eine Anhörung statt-findet.»
Sie hielt beim Auspacken inne. «Ich dachte, deswegen sind wir hier», gab sie zurück.
Er sah sie seltsam an, als teilten sie beide ein unangenehmes Geheimnis, über das sie nicht reden durften. «Eine Anhörung mit Beweisaufnahme», sagte er langsam. «Damit wir sehen, was wir haben.»
«Ich denke nicht, dass wir so weit gehen müssen, Herr Richter.» Sie schlug einen Ordner auf.
«Erstens wurde der Berufungsantrag nicht fristge-recht aufgesetzt. Er hatte sein Zeitfenster, und das ist jetzt geschlossen.»
«Frau Staatsanwältin, es geht um eine neue Beweislage. Dafür gibt es keine Frist.»
«Mit derselben Behauptung bezüglich mangelhafter Rechtsvertretung und neuer Beweise hat der Angeklagte auch seine letzte Berufung begründet», erwiderte sie. «Und im vergangenen Sommer haben Sie entschieden, dass er damit beim ersten Prozess hätte Einspruch einlegen sollen. Was er versucht hatte. Verfahrenstechnisch ist es unzulässig, den Fall deswegen noch einmal aufzurollen.»
«Die Klage wegen mangelhafter Rechtsvertretung ist neu», krähte Neil Mann dazwischen. Er wrang den Plastikkugelschreiber in seinen schwit-zenden Händen. «Die Klage basiert auf einem neu entdeckten Tonband, das seine Verteidigerin nach ihrer eigenen eidesstattlichen Aussage zurückgehalten hatte.» Er räusperte sich, dann fügte er hinzu: «Vorsätzlich.»
«Wenn Lourdes Rubio während des Prozesses von dem Tonband wusste», knurrte C. J. zurück,
«wie können Sie jetzt behaupten, dass es Beweismaterial ist? Beweismaterial, das, ich zitiere das Gesetz, ? Im Gesetz steht, wenn das Beweismaterial der Verteidigung bekannt oder zugänglich war, dann kann sie sich nach der Verurteilung nicht darauf berufen, dass die Dinge nicht richtig gelaufen wären. Lourdes Rubio sagt, sie hat davon gewusst. Offensichtlich war es ihre Verhand-
lungsstrategie, es nicht zu benutzen. Vor dem Gesetz gilt es jedenfalls nicht als neues Beweismaterial.»
«Ein richtiges Argument», sagte Chaskel nachdenklich. Dann schlug er seinen Kalender auf.
«Wiederholen Sie es bei der Anhörung.»
Aus irgendeinem Grund hatte C. J. nicht damit gerechnet, dass es wirklich so weit kommen würde.
Sie hatte sich tatsächlich eingebildet, sie käme glimpflich davon – die Möglichkeit, dass sie heute nicht gewann, hatte sie anscheinend einfach nicht akzeptieren wollen. «Euer Ehren», fuhr sie mit belegter Stimme fort und spielte ihren letzten Trumpf aus, «mit allem gebührenden Respekt, aber finden Sie wirklich, dass es im Interesse der Öffentlichkeit liegt, Mr. Bantling ganz von Raiford herholen zu lassen zu einer Anhörung, von der sie eben selbst sagten, dass sie gar nicht unbedingt notwendig ist?»
Die Augen des Richters verengten sich, und er sah sie
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