Morphin
Stallknechts, seine breiten Schultern und über diese Schultern das Gesicht der eigenen Tochter. Und sie sah ihn und wusste, was kommen würde, beschloss dennoch, keine Angst zu haben, und hatte auch keine. Sie schaute dem Vater direkt in die Augen, über Efiks Schulter hinweg, legte die Hände auf sein Gesäß und zog ihn an sich, und der Vater stand wie gefroren da, stand ohnmächtig, Scham, die beim Anblick der Schamlosigkeit gerann wie Natrium an der Luft.
«Und der alte Herr Willemann, mein Vater und dein Großvater, den du nie kennengelernt hast, der alte Herr Willemann reagierte erst, als Efik den Rhythmus der Kopulation abbrach, sich streckte und aufheulte, das Heulen gleich unterdrückte, die Zähne zusammenbiss und durch sie weiterheulte. Und warum heulte er auf?
Weil er gerade Befriedigung gefunden hatte, mein Sohn, und seinen Samen in meinen Schoß legte.
Da packte der alte Herr Willemann, mein Vater, ein Ortscheit und stieß mit dem Ortscheit den Knecht vom entehrten Schoß seiner Tochter. Efik jedoch, erregt vom geschlechtlichen Verkehr, verspürte Kraft in sich, und ohne Herr seiner Taten zu sein, sprang er auf, entriss dem alten Herrn besagtes Ortscheit und schlug meinen Vater damit. Er wollte nicht töten, traf ihn nur am Knie, brachte den alten Herrn Willemann zu Fall – und floh. Der alte Herr Willemann aber starb gleich darauf, sein Herz setzte aus.»
Danach wurde meine Mutter, Konstantys Mutter, in die neueröffnete Anstalt für Geisteskranke in Rybnik gesperrt, und die Familie zog nach Kattowitz, in die neue Stadt, die noch wuchs und in deren Wachsen und Entwickeln man sich verbergen, eingraben und die eigene Scham vergessen konnte.
In Rybnik traf sie ihren zweiten Liebhaber: Sie verführte einen jungen Psychiater. Sie erzählte ihm von den Slawen, Germanen und Kelten, erforschte seinen Schädel, befand ihn für sehr nordisch, erforschte und küsste seinen mageren Arztleib und fand Gefallen an diesem absurden, aufstehenden Glied, das Gott den Männern zu ihrer Scham und ihrem Verderben zwischen die Beine gesetzt hat, fand Gefallen daran, dass sie es allein mit ihrem Blick aufrichten konnte, bis es straff ragte wie ein Grüner Husar auf der Wacht, fand Gefallen daran, dass sie mit ihm den ganzen Mann in die Hand nahm, als würde sie die Zügel eines Reitpferdes ergreifen.
Damals, nach der Lektüre einiger Ausgaben der «Oberschlesischen Zeitung», die gewiss vom niederen Personal oder den Verrückten selbst ins Krankenhaus eingeschleppt wurden, beschloss sie, Polin zu werden, gewissermaßen zu Ehren des Mannes, der ihr Hymen zerrissen hatte, ein bisschen der Mutter zum Trotz, der eigenen Herkunft und dem eigenen Blut; Polin zu werden war nicht schwer, also wurde sie es.
Der Psychiater hieß Alfred Ritter von Koneczny. Durch sein Zutun, durch seine fanatische Leidenschaft beherrschte sie ihn, weil sie ihn zynisch und berechnend zu allem zwingen konnte, sobald sie ihm nur ihren Körper verweigerte und versprach, wenn er ihren Wunsch erfülle, würde sie sich für ihn ausziehen und ihn ranlassen. Das fiel ihr nicht leicht, denn sie begehrte ihn ja selbst und träumte, wünschte, ganz von ihm erfüllt zu sein, aufs Laken gepresst, die Nacht lang geküsst zu werden. Mehr noch aber wollte sie aus dem Irrenhaus herauskommen und verließ es schließlich als geheilte Achtzehnjährige, während er durch ihr Zutun den für Verdienste erlangten «Ritter» und das «von» aus dem Namen des Vaters strich und zu Alfred Konieczny wurde, für das irre Mädchen zum Polen wurde, obwohl er doch wusste, dass sein slawischer Name ein tschechischer war, sie hatte ihm das selbst gesagt. Damals nahm ihre Obsession den Anfang – nordische und alpine Schädel, slawische Namen, keltische Rituale, der Gott Taranis, Palmen und Bausitten.
Und jetzt sprach sie von diesen Geliebten: von polnischen Funktionären, deutschen Offizieren, jüdischen Kaufleuten und ihren beschnittenen Pimmeln, von Schleppern und Bergleuten, Lumpen und Grafen und davon, dass keiner, keiner es geschafft hatte, in ihrem Leib neues Leben zu zeugen und dass sie keinen haben wollte, obwohl alle sie sofort geheiratet hätten. Den Arzt verließ sie zwei Monate nach ihrer Entlassung aus der Klinik: Kümmer dich um Polen, nicht um meine Möse, befahl sie ihm.
Und Jahre später kommt sie zum Vater. Und Kostek sieht alles vor seinen eigenen Augen: Sieht ihren Namen auf dem zitternden Schild, Katharina Willemann, sieht, wie die Tür aufgeht, Kostek
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