Morphin
Haar.
«Warum hast du mich mit dem Paket dorthin geschickt?», flüstere ich.
«Weil du sie brauchst, Kostek. Die Untätigkeit bringt dich um.»
«Sie haben mich in die Konspiration hineingezogen. Ich habe mich bereit erklärt.»
«Ich weiß.»
«Aber nicht für Polen. Polen ist mir scheißegal. Sie haben mir versprochen, dass sie helfen, Iga zu finden. Und Jacek hat mich darum gebeten … Deshalb habe ich ja gesagt.»
«Ich verstehe, Kostek. Schlaf.»
«Ich habe einen Menschen getötet, Hela.»
«Im Krieg?», fragt sie, ohne ihre Zärtlichkeiten zu unterbrechen.
«Nein. Gestern.»
Ihre Hand hält eine Sekunde inne, erstarrt in schwerer Reglosigkeit, war das eine zweifelnde Reglosigkeit, oder nur eine erstaunte?
«Offenbar musstest du.» Ihre Hand macht weiter. Als hätte ich nur gesagt, dass ich hundert Złoty ausgegeben habe.
«Ja, ich musste.»
Sie nickt. Glaubt mir, akzeptiert, nimmt hin.
«Glaubst du, Iga ist noch am Leben?», fragt sie ungezwungen, ohne Angst, es auszusprechen.
Ich schmiege den Kopf an ihre Seite, an ihre Hüfte, wohin ich ihn schmiegen kann.
«Ich weiß es nicht, Hela, ich weiß es nicht.»
«Der arme Jacek.» Hela schnieft, als müsste sie gleich weinen. «Arme Iga.»
Arme Iga.
Meine erste Geliebte, die erste Frau, und auch ich war ihr erster Mann, im Jahr siebenundzwanzig, und wir waren in einem Sommerlager am Miadziołsee, am Herrenhaus der Rochacewiczs. Ich war damals ein dummer achtzehnjähriger Junge, sehr empfindlich, was meinen Akzent anging, der oft noch schlesisch oder deutsch klang, deshalb war ich schweigsam und machte auf andere den Eindruck, dass ich streng und sehr korrekt spreche, doch in den seltenen Augenblicken, in denen ich mich lockerte, kippte mein Akzent ins Deutsche, zum rollenden «r», und ich sah Erstaunen oder süffisantes Lächeln und verstummte.
In diesem Sommerlager war Jacek mit mir, mein guter Jacek, Engel der Fläschchen voller Güte und Bösem und Tod, mein Kamerad vom Gymnasium, zwei Jahre älter als ich. Wir waren davor nicht befreundet gewesen. Erst dort, auf dem Gut der Rochacewiczs, zwischen Kiefernwäldern, See, Spaziergängen und Kajakfahrten, wurde unsere Freundschaft geboren.
Und Iga war dort. Jacek war damals unsterblich verliebt in eine Warschauerin, er beachtete Iga gar nicht. Aber Iga leuchtete, als drehte sich diese ganze Sommerlagerwelt nur um sie allein.
Sie traf ein paar Tage nach uns ein, und wir sahen sie das erste Mal beim Frühstück. Bis dahin hatte uns die Gesellschaft enttäuscht. Zwei ältere Beamte aus Posen, langweilig wie eine Fastenpredigt, einer mit Ehefrau, vertrocknet wie ein Blatt im Herbarium. Außerdem das strenge Fräulein Alicja, das unübersehbar mit großen Schritten auf die bodenlose Verzweiflung der alten Jungfer zusteuerte. In ihrem Körper aber war noch Glut; sie hätte die noch nicht in die Geheimnisse der Liebe eingeweihten Gymnasiasten vielleicht auch gnädiger betrachtet, hätte sie uns nicht zufällig über ihre Leibesfülle spotten gehört. Ein zudem unverdienter Spott, denn Fräulein Alicja, wenngleich kräftig gebaut, war zweifellos sehr fraulich, und mit unserem Lästern über ihre großen Brüste und den prallen Hintern versuchten wir, ohne uns dessen bewusst zu sein, das Unerreichbare lächerlich zu machen.
Ja, Kostek, hättest du damals nur mehr über die Frauen gewusst! Hättest gewusst, wie ihre Körper sich entwickeln, wenn man sie aus den Schalen der Kleider befreit. Doch Fräulein Alicja verstand sich nicht darauf, ihren Leib so zu zeigen, ihn zu nutzen, wie andere Frauen dies tun. Sie besaß nicht die Wärme und Herzlichkeit, die strammen Damen eignet, aus denen auf geheimnisvolle Art der körperliche Überfluss sprudelt. Fräulein Alicja war eine bissige, knochige alte Jungfer im Körper einer korpulenten Frau mittleren Alters. Sie wusste nicht, dass sie anziehend hätte sein können, hätte sie ihre Fülle nicht in so furchtbar enge Sommeranzüge gezwängt, die ihre Schultern wie fette Rollschinken im straffen Netz aussehen ließen.
Ja, Kostuś, mein Lieber, erinnerst du dich, dass ich damals schon bei dir war, ich, deine graue, stille Freundin ohne Gesicht, die, die dir nachgeht, weißt du noch, Kostek? Du weißt es nicht, denn ich bin für dich weniger als ein Schatten, und wenn du mich spürst, dann dicht unter der Schwelle des Bewusstseins, nie darüber.
Niemals trete ich ins Licht. Also denk zurück, Kostek, mit dem Kopf auf den Knien deiner Frau, denk
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