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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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leider.»
    Ich nicke. Witkowski legt mir plötzlich die Hand auf den Bauch.
    «Haben Sie eine Waffe?»
    Ich bejahe, mir bleibt keine Wahl.
    «Die geben Sie bitte ab», befiehlt er.
    Er befiehlt es dir, Kostek. Lässt du dir von ihm befehlen? Glaubst, ich würde wollen, dass du dir von ihm befehlen lässt?
    «Nein», protestiere ich.
    Gut, Kostek!
    Witkowskis Hand umkrallt meinen Unterarm, fest.
    «Bitte geben Sie sie mir, nur zur Aufbewahrung, es ist zu Ihrem Besten», sagt er mit dieser furchtbaren, leisen Stimme, in der Überzeugungskraft, Drohung und Unnachgiebigkeit liegen.
    Ich ziehe die Browning, nehme das Magazin heraus, prüfe die Patronenkammer und reiche sie ihm. Aus der Hosentasche krame ich die Ersatzkugeln. Witkowski klopft mir auf die Schulter.
    «Und eine Quittung, vielleicht?», frage ich und weiß im selben Moment, wie dämlich die Frage ist.
    Witkowski lacht nur, wie über einen guten Witz.
    «Freut mich, freut mich. Melden Sie sich also in ein paar Tagen hier bei mir.»
    Und plötzlich frage ich mich: War es das jetzt?
    Das habe ich dich gefragt, Dummerchen.
    Ich gehe raus.
    Stehe auf dem Erlöserplatz. Ohne Waffe. In den Gully hätte ich sie werfen sollen.
    Vor der ausgebrannten Kirche ringt ein runtergekommener Apache mit karierter Mütze um Verständigung mit zwei erschöpften Soldaten, in Zeichensprache. Weiß Gott und wissen die Teufel, was diese armen Soldaten hier um diese Zeit tun, ohne Waffen und Helme, also nicht auf Streife. Der magere Strauchdieb versucht ganz offensichtlich, den Deutschen etwas zu verkaufen.
    Ich muss an ihnen vorbei. Der Apache verhökert Armbanduhren – ein Dutzend davon hat er ans Futter seiner ärmlichen Jacke geheftet, kann sich aber mit den durchaus interessierten Soldaten nicht recht verständigen.
    Hilf ihm, Kostuś.
    «Kann ich den Herren eventuell helfen?», frage ich in meinem Wiener Deutsch.
    Die Soldaten und der Händler schauen interessiert in mein wundes Gesicht.
    Wozu habe ich sie gefragt?
    «Ich spreche Polnisch.»
    Und helfe ihnen. Der Apache verkauft zwei Uhren, die Deutschen gehen zufrieden und fröhlich davon.
    «Was sind Sie denn für einer?», fragt er.
    «Ich helfe meinen Nächsten gern.»
    «Gut so.»
    Er reicht mir die Hand.
    «Rawicz heiß ich.»
    Ich drücke die Hand.
    «Meinen Namen kann ich Ihnen nicht sagen.»
    «Ist gebongt, mein Herr, nicht nötig. Falls was ist, fragen Sie nach Jurek Rawicz in der Tamka, das reicht. Adresse gebe ich Ihnen nicht, ändert sich eh dauernd. Falls Sie etwas kaufen oder loswerden wollen.»
    Er ist sehr mager, der Kopf ein hautüberzogener Schädel, sieht aber nicht hungrig aus, die Augen blitzen hellblau.
    «Und Sie handeln hier mit den Deutschen?», frage ich.
    «Ja, auf der Straße, und ich hab einen Kommissionsladen. Denn wissen Sie, ich mag die Deutschen sehr. Endlich kommt Ordnung in die Stadt. Sie haben die großen Herren verjagt, die Scheißkapitalisten. Was hab ich mich gefreut, als die abgehauen sind, die Dreckschweine, nehmen Sie’s mir nicht übel, als diese Fettwänste mit ihren Huren und ihren Hurenbälgern in Gymnasialuniformen abgehauen sind, als sich das alles verpisst hat, Mann!»
    Und jetzt, Kostek, wirst du die eigene Kaste in Schutz nehmen? Solltest du. Er redet von deinen Leuten, von solchen wie dir. Von deiner Frau. Von Jacek Rostański. Von Iga.
    «Stimmt», sage ich.
    Tippe an meinen Hut und gehe nach Hause.
    Ich gehe nach Hause.
    Nicht zu Salomé. Nicht zu meinem Fläschchen voller Wohligkeit. Nach Hause, schlafen. Dort ist kein Krieg. Gibt es keine Deutschen. Keine Leichen und keine Schüsse, nur Hela, meine wunderbare Hela, die mich über alles liebt und die ich liebe, und Jureczek, dem ich ein Vater bin.
    Ich komme am Unii-Lubelskiej-Platz vorbei mit dem Denkmal des Fliegers, viel ist er nicht geflogen, und gehe schon durch die Puławska, weiter hinter mir meine Dobra, vom schlechten Powiśle gehe ich ins gute Mokotów. Da ist mein Schokoladenhaus, der Kakaosalon geschlossen, da ist das Tor, das Treppenhaus, die Tür zu meiner Wohnung verschlossen und ich ohne Schlüssel, ich klopfe, und Hela öffnet.
    Sie stellt keine Fragen. Weder nach dem wundgeschlagenen Gesicht noch nach den zwei Nächten, die ich fort war, noch nach dem verdreckten Anzug, dem fehlenden weißen Tüchlein in der Brusttasche. Keine Fragen. Sie weiß sofort, sie sieht, dass ich das Paket abgeliefert habe, doch jetzt verstehe ich: Das interessiert sie gar nicht. Sie hat mich nur darum gebeten, weil ihr Vater

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