Morphium
ich«, seufzte Mary.
Schwester Hopkins brummte, als sie den ersten Packen in die Hand nahm.
»Merkwürdig, was für einen Plunder manche Leute aufheben! Zeitungsausschnitte! Alte Briefe! Alle möglichen Dinge!«
Mary entfaltete ein Dokument.
»Da ist Vaters und Mutters Trauschein, sie haben in der St.-Albans-Kirche geheiratet.«
»Ja, aber, Schwester – «
Die andere blickte rasch auf, sie sah die Bestürzung in den Augen des Mädchens und fragte scharf:
»Was ist los?«
Mary Gerrard sagte mit bebender Stimme:
»Sehen Sie nicht? Ich bin einundzwanzig. Das heißt – das heißt – dass mein Vater und meine Mutter – sie haben erst ein Jahr nach meiner Geburt geheiratet.«
Schwester Hopkins runzelte die Stirn.
»Nun, und was weiter? Machen Sie sich doch darüber keine Gedanken – nach der langen Zeit!«
»Aber, Schwester, ich kann nicht anders!«
»Es gehen viele erst später in die Kirche, als sie sollten. Aber solange sie’s überhaupt tun, was liegt daran? So sehe ich das an.«
»Glauben Sie, dass das der Grund ist – warum mein Vater mich nicht mochte? Weil ihn die Mutter vielleicht zwang, sie zu heiraten?«
Schwester Hopkins zögerte. Sie biss sich auf die Lippen.
»Es war nicht ganz so, glaube ich.« Sie wartete ein wenig, dann fuhr sie fort:
»Na ja, da Sie ohnehin darüber nachgrübeln werden, können Sie auch gleich die Wahrheit erfahren: Sie sind gar nicht Gerrards Tochter.«
»Also deshalb!«
»Kann sein.«
Marys Wangen färbten sich plötzlich rot.
»Es ist vielleicht schlecht von mir, aber ich bin froh! Es war mir immer so ein unangenehmes Gefühl, dass ich meinen Vater nicht gern hatte, aber wenn er nicht mein Vater war, so erscheint das ja in Ordnung. Wie haben Sie es erfahren?«
Schwester Hopkins lächelte.
»Gerrard sprach sehr viel davon, ehe er starb. Ich sagte ihm öfters, er solle nicht davon reden, aber er scherte sich nicht darum. Natürlich hätte ich Ihnen nichts davon gesagt, wenn das andere nicht herausgekommen wäre.«
»Ich möchte wissen, wer mein wirklicher Vater war…«
Schwester Hopkins zögerte. Sie öffnete den Mund, dann schloss sie ihn wieder. Sie konnte sich offensichtlich nicht zum Reden entschließen.
Da fiel ein Schatten ins Zimmer; beide sahen sich um und erblickten Elinor Carlisle vor dem Fenster. Sie nickte ihnen zu.
»Guten Tag.«
Schwester Hopkins erwiderte eifrig:
»Guten Tag, Miss Carlisle. Wundervolles Wetter heute, nicht wahr?«
Marys Stimme klang zögernd.
»Oh – guten Tag, Miss Elinor.«
Elinors Stimme wirkte ruhig wie immer.
»Ich habe ein paar Sandwiches gemacht, wollen Sie nicht heraufkommen und mitessen? Es ist gleich ein Uhr, und es ist so lästig, wegen dem bisschen Essen nach Hause zu gehen. Ich habe extra genug für drei gekauft.«
Schwester Hopkins war angenehm überrascht. »Aber das muss ich sagen, Miss Carlisle, das ist furchtbar nett von Ihnen! Es ist wirklich lästig, die Arbeit zu unterbrechen und den ganzen Weg vom Dorf wieder zurückzukommen. Ich hoffte, wir würden diesen Vormittag fertig, aber das Sortieren dauert länger, als man glaubt.«
Sie gingen alle drei zum Haus hinauf. Elinor hatte die Vordertür offen gelassen. Als sie in die kühle Halle traten, schauerte Mary ein wenig. Elinor sah sie scharf an und sagte:
»Was ist?«
»Oh, nichts – nur ein Schauer; es ist kühl hier – nach der Sonne…«
Elinor sagte mit leiser Stimme:
»Das ist seltsam. Das habe ich heute früh auch gefühlt.«
Schwester Hopkins rief mit lauter, fröhlicher Stimme lachend:
»Also nächstens werden Sie noch behaupten, es sind Geister im Haus! Ich habe gar nichts gespürt!«
Elinor lächelte.
Sie ging durch die Halle und brachte aus dem Anrichteraum einen großen Teller mit belegten Broten. Sie hielt ihn Mary hin.
»Bitte, nehmen Sie!«
Sie schaute zu, wie des Mädchens ebenmäßige weiße Zähne in das Brot bissen, hielt einen Augenblick den Atem an und stieß ihn dann mit einem kleinen Seufzer aus.
Zerstreut stand sie eine Weile mit dem Teller da, dann wurde sie beim Anblick von Schwester Hopkins’ halbgeöffneten Lippen und hungrigem Ausdruck rot und bot rasch auch der Älteren an. Während sie sich selbst nahm, sagte sie entschuldigend:
»Ich wollte eigentlich Kaffee machen, habe jedoch vergessen, welchen zu besorgen; es ist aber Bier da, wenn jemand das mag?«
Schwester Hopkins meinte betrübt:
»Hätte ich nur daran gedacht, Tee mitzubringen!«
»Es ist noch ein wenig Tee in der Büchse«, erklärte
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