Morphium
ruhiger Besitzerfreude hier herumgehen, glücklich – ja, glücklich miteinander – wäre nicht der verhängnisvolle Zufall in Gestalt eines Mädchens – schön wie eine wilde Rose – gewesen…
Was wusste Roddy schon von Mary Gerrard? Nichts – weniger als nichts! Liebte er sie denn, sie, die wirkliche Mary? Sie hatte möglicherweise bewundernswerte Eigenschaften, aber wusste Roddy etwas von ihnen? Es war die alte Geschichte – das uralte grausame Spiel von Mutter Natur! Hatte Roddy nicht selbst gesagt, es sei eine Verzauberung? Wollte Roddy selbst nicht eigentlich frei werden davon?
Sollte Mary Gerrard zum Beispiel – sterben, würde Roddy nicht eines Tages selbst zugeben: »Es war am besten so, ich sehe das jetzt ein. Wir hatten nichts gemeinsam…«
Er würde vielleicht mit sanfter Wehmut hinzufügen: »Sie war ein wundervolles Geschöpf…«
Mochte sie das für ihn sein – ja, eine wundervolle Erinnerung voll beglückender Schönheit…
Sollte Mary Gerrard etwas passieren, so würde Roddy zu ihr, Elinor, zurückkehren… dessen war sie ganz sicher!
Sollte Mary Gerrard etwas passieren…
Elinor öffnete die Seitentür. Sie ging aus dem warmen Sonnenschein in den Schatten des Hauses. Sie erschauerte.
Es war kalt hier drinnen, dunkel, unheilvoll… Es war, als sei etwas da, hier im Haus, das auf sie wartete…
Sie ging durch die Halle und stieß die Tür auf, die in den Anrichteraum führte.
Es roch etwas dumpf. Sie öffnete das Fenster weit und legte ihre Pakete ab – die Butter, das Brot, die kleine Flasche Milch.
Zu dumm! Ich wollte doch auch Kaffee kaufen, dachte sie.
Sie schaute in die Büchsen im Fach, in einer war ein wenig Tee, jedoch kein Kaffee. Je nun, es wird auch so gehen, dachte sie gleichgültig.
Sie wickelte die zwei Gläser mit Fischpaste aus und starrte sie eine Weile an. Dann verließ sie den Raum und ging hinauf, direkt in Mrs Welmans Zimmer. Sie begann mit dem hohen Schrank, öffnete Laden, sortierte, ordnete, legte Kleider auf einen Stoß…
Im Pförtnerhaus sah Mary Gerrard sich ziemlich hilflos um. Sie hatte irgendwie nicht mehr gewusst, wie eng alles war. Ihr vergangenes Leben stürzte über sie herein wie eine Flut. Mutti, die ihr Puppenkleider nähte. Vater immer brummig und mürrisch, lieblos mit ihr. Ja, er mochte sie nicht…
Sie sagte plötzlich zu Schwester Hopkins:
»Vater sagte nicht etwas – sandte mir keine Botschaft, bevor er starb, wie?«
Schwester Hopkins war heiter und ungerührt wie immer.
»O Gott, nein. Er war schon eine Stunde, bevor er starb, bewusstlos.«
»Ich habe das Gefühl, ich hätte vielleicht herkommen und mich um ihn kümmern sollen; er war doch schließlich mein Vater.«
In Schwester Hopkins’ Stimme lag etwas wie Verlegenheit.
»Hören Sie mir mal zu, Mary: Ob er Ihr Vater war oder nicht, hat nichts damit zu tun. Kinder kümmern sich heutzutage, soviel ich sehe, nicht allzu viel um ihre Eltern, und viele Eltern kümmern sich auch nicht um ihre Kinder. Mag dem sein, wie es will – wir müssen jedenfalls mit dem Leben fertig werden – das ist unsere Aufgabe, und manchmal keine allzu leichte dazu!«
»Ich vermute, Sie haben Recht«, sagte Mary langsam. »Aber ich fühle, dass es vielleicht meine Schuld war, dass wir nicht besser miteinander auskamen.«
»Unsinn!«
Das Wort explodierte wie eine Bombe.
Es beruhigte Mary. Schwester Hopkins wandte sich nun praktischeren Dingen zu.
»Was machen Sie mit den Möbeln? Einstellen? Verkaufen?«
Mary war sich unschlüssig.
»Ich weiß nicht. Was meinen Sie?«
Nachdem sie alles begutachtet hatte, sagte Schwester Hopkins:
»Einiges davon ist ganz gut und solide gearbeitet. Sie könnten es einstellen und sich eines Tages in London eine kleine Wohnung damit einrichten. Den Plunder sollten Sie versuchen loszuwerden.«
Dann machten sie eine Liste der Stücke, die behalten und die verkauft werden sollten.
»Der Rechtsanwalt, Mr Seddon meine ich, war sehr gut zu mir. Er gab mir einen Vorschuss, damit ich meine Ausbildung und andere Ausgaben bestreiten könne. Er sagte, es dauere noch ungefähr einen Monat, bis er mir das ganze Geld überweisen kann.«
»Wie gefällt Ihnen denn Ihre Arbeit?«
»Ich glaube, sie wird mir viel Freude machen, sie ist nur etwas anstrengend am Anfang. Ich komme immer todmüde nach Hause.«
Schließlich waren sie auch mit den Kleidern des Alten fertig. Nun kam noch eine Blechschachtel voll mit Papieren.
»Die müssen wir wohl auch durchgehen, denke
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