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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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grässlichen Fratze, die mich ausdruckslos anstarrte. Mein Blick wanderte über seine Stirn und verharrte auf einer Narbengeschwulst, die sich von der Schläfe über die gesamte rechte Kopfhälfte zog. Vereinzelte Büschel borstigen Haares entsprossen dem verwachsenen Gewebe, und bläulich-weiße Gehirnmasse quoll aus verkrusteten Wunden. Schlecht verheilte Narben entstellten seinen Mund und ließen gebrochene Zahnstümpfe erkennen. Die Hände meines Alter Egos waren von riefen Rissen durchzogen, so als klaffe seine Haut auf, wann immer es die Finger spreizte. Sein Körper war noch schlimmer versehrt. Alles an und in ihm wirkte eigenartig verschoben und verkrümmt. Gekleidet war mein Gegenüber in eine zerschlissene, verdreckte Krankenhauskluft.
    Ein unvermittelt auftretender Schmerz lähmte mich. Ich hatte das Gefühl, als ströme kochende Rückenmarksflüssigkeit durch meine Wirbelsäule, ergieße sich in meine Bauchhöhle und zerreiße mir die Eingeweide. Schwer atmend musterte ich mein schweigendes Ebenbild, das mich ebenso aufmerksam betrachtete.
    »Wer sind Sie?«, wiederholte ich meine Frage.
    »Weißt du das denn nicht?« Die Stimme meines Alter Ego klang heiser und trocken, als hätte es seit einer Ewigkeit nicht mehr gesprochen. »Sieh mich an. Erinnerst du dich nicht an mich?«
    Ich schüttelte beklommen den Kopf. »Mein wahres Ich? Das, was von mir noch übrig ist?«
    »Wir waren einmal zusammen!«
    »Sie meinen – Partner?«
    »Ja, sozusagen. Das letzte Mal im Sheraton in Kairo, bevor der Aphoes mich verdrängte …«
    Erneut zwang mich rasender Schmerz in die Knie. Ich hörte das Quietschen von Reifen, das Splittern von Glas, das Knirschen sich verformenden Blechs. Und ich sah Blut, überall Blut … Mein Gegenüber verschwamm in roten Schlieren, nur zögernd klärte sich mein Blick. Gebückt und zitternd kämpfte ich um mein Gleichgewicht.
    »Wie lautet mein Name?«, fragte mein Ebenbild.
    Ich blickte es lange an. »Krispin, vermute ich. Hippolyt Krispin.«
    Mein Gegenüber schloss die Augen, neigte den Kopf nach vorn und nickte unmerklich, wodurch noch mehr Gehirnmasse aus seinem Schädel quoll. »K für Krispin, natürlich …«
    »Woher kommen Sie?«
    »Man sagte mir, dass du diese Frage stellen würdest. Die Antwort, die ich dir darauf geben soll, lautet: Von einem Ort, geschaffen, den Schmerz aufzunehmen.«
    »Sie – du bist mein Ka …!« Ich trat einen Schritt näher und betrachtete die schrecklichen Kopfverletzungen meines Selbst. Als ich die Hand nach ihm ausstreckte, wich es sofort zurück.
    »Du darfst mich niemals berühren«, erklärte es. »Solange du die goldene Ka- Schlange in dir trägst, ist unsere Vereinigung in dieser Welt unmöglich. Im schlimmsten Fall würden wir uns gegenseitig vernichten.« Flussaufwärts ertönte ein Ton wie von einer Glocke, worauf mein Alter Ego sich erschrocken umsah. »Es tut mir Leid, aber wir dürfen nicht länger miteinander reden.« Es entfernte sich langsam, ohne sich abzuwenden. »Ich folgte dem Fluss ab der Quelle, aus der er entspringt. Folge du ihm dorthin, wo er versiegt. Es ist der einzige Weg, uns zu retten.«
    »Warte!«, rief ich und lief ihm nach. »Was ist damals in Kairo geschehen?«
    »Du hattest einen Unfall.«
    »Das heißt, ich bin tatsächlich …«
    »Tot?« Mein Ka lachte röchelnd. »Nein, noch nicht.«
    Und eine tiefe, metallisch dröhnende Stimme aus dem Nebel fügte hinzu: »Aber du siehst ja, es fehlt nicht mehr viel …«
    Ich blieb abrupt stehen und starrte in den Dunst, konnte aber niemanden erkennen. »Wer spricht dort?«, rief ich.
    »Kehre um!«, donnerte die Stimme. »Dies ist nicht dein Weg!«
    »Widersetze dich nicht«, bat mein Ebenbild. »Deine Flucht hat die Dinge außer Kontrolle geraten lassen. Hier, nimm das!« Es warf mir einen dunklen, faustgroßen Gegenstand zu. Ich fing das Objekt auf und betrachtete es überrascht: Was ich in den Händen hielt, war das verloren geglaubte Hexonnox! Keines seiner Pyramidenfragmente fehlte, der Korpus wirkte massiv wie aus einem Guss. Halb getrocknetes Blut klebte auf dem Artefakt.
    »Woher hast du das?«, staunte ich.
    »Dein Begleiter trug es bei sich – und er hat es benutzt. Trau ihm nicht, denn er ist nicht das, wofür du ihn hältst. Seit jeher sucht er nach einen Ausweg aus der Sphäre. Dieses Hexonnox hätte niemals in seine Hände fallen dürfen. Hüte es von jetzt an wie deine Seele. Sollte es ihm gelingen, von unserem irdischen Körper Besitz zu ergreifen, gibt es

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