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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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besaß ein schlankes, hoch aufgerichtetes Heck. Das Segel war eingeholt, schlichte Holzgeländer, über denen je vier Ruderstangen in der Strömung pendelten, zierten die Schiffsseiten. An Bord und in der näheren Umgebung war keine Menschenseele zu sehen. Das Schiff erinnerte an einen Nachbau einer altägyptischen Prozessionsbarke, doch statt breit und keilförmig zu enden, mündete der Bug in einen Schlangenkopf wie bei einem nordischen Langboot. Dieses seltsame Wassergefährt gehörte eindeutig in ein Museum, anstatt hier im trüben Nilwasser zu dümpeln.
    »Was ist das für ein Schiff?«, fragte ich.
    Sahia zögerte. »Eine Mondbarke.«
    Ich erhob mich staunend. »Ein Totenschiff?« Die junge Frau neigte den Kopf in einer Art, die sagte: ›Na und?‹. Ich nahm sie bei der Hand. »Komm!«, forderte ich sie auf.
    »Was hast du vor?«
    »Ich möchte es mir ansehen.«
    »Nein!« Sahia riss mich zurück, worauf ich neben ihr auf dem Hosenboden landete. Ehe ich einen neuen Versuch unternehmen konnte, schwang sie sich über mich und setzte sich auf meine Beine. »Es ist eine Totenbarke, Mister Krispin, und die Toten möchten nicht gestört werden.« Und mit einem aufreizenden Lächeln fügte sie hinzu: »Wir sind doch nicht hierher gekommen, um uns ein altes Segelschiff anzusehen, oder?«
    Ich ließ mich grinsend ins Gras sinken. »Nun, vielleicht ist es ja morgen früh noch da …«
    »Oh, ganz sicher nicht«, entgegnete Sahia, wobei ihre Hände unter mein Hemd glitten. »Was weißt du über die Totenbarken?«
    »Dass sie die Nachtregionen der Duat durchqueren.«
    »Erzähl mir davon.«
    »Jetzt? Wieso?«
    »Du hast einen Wunsch an mich verloren, schon vergessen?« Sie beugte sich herab und küsste meine Brust durch die Öffnung des goldenen Uroboros-Reifs, der aus meinem offenen Hemdkragen schimmerte.
    Meine Finger wanderten empor und begannen ihren warmen Körper zu streicheln. »Zur Zeit der Pharaonen stellten sich die Menschen vor, dass das Totenreich der Welt gleicht, in der sie lebten«, sprach ich leise. »Ein Jenseits-Niltal, durch einen langen Strom geteilt, der in der Mitte eines breiten Streifens fruchtbaren Landes dahinfließt. Die Barke durchquert das Tor Rosetau, um nach Imhet zu gelangen, eine Region, die aus zwei gewundenen Wegen besteht, der eine aus Feuer, der andere aus Wasser, und weiter nach Armenti, die Region des Feuers, wo alles vertrocknet und dahinschwindet. Sie überquert den See der beiden Wahrheiten und den See der Läuterung und durchreist Tiau, die Höhlenregion, über die der Verschlinger der Schatten wacht …«
    »Ja, so war es früher«, flüsterte Sahia. »Doch Sarara hat sich sehr verändert …«
    »Bitte?«
    »Nicht so wichtig.« Sie knöpfte mein Hemd auf. »Erzähl weiter!«
    Hatte ich vergessen zu erwähnen, dass die meisten jungen Ägypterinnen nicht nur geheimnisvoll und abenteuerlustig sind, sondern auch einen gewaltigen Sprung in der Schüssel haben? Falls die Geschichten über das Totenreich Sahias sexuelle Erregung steigerten, gehörte sie womöglich zu jenen Menschen, die ein wenig zu oft auf dem Ghafir-Friedhof übernachtet hatten.
    »Die Regionen der Duat«, begann ich mühsam beherrscht, »sind durch mächtige Pforten voneinander getrennt, an denen Schlangen und Feuer speiende Uräi Wache halten. Alle Toten besitzen einen Namen für die Ewigkeit und müssen die Worte kennen, die ihnen die Pforten öffnen.« Ich schälte Sahias Körper aus ihrer Bluse, und sofort umhüllte mich wieder dieser überirdische Duft. »Sämtliche Regionen werden von einer unvorstellbaren Zahl von Toten bevölkert. Sie dämmern in der Finsternis dahin, wie in einer Art Erstarrung, aus der sie nur die Ankunft der Totenbarke zu reißen vermag.« Ich schaffte es irgendwie, Sahia und mich auszuziehen, ohne sie aus meinem Griff zu lassen. »Die Verdammten begrüßen die Barke, sobald sie bis zu ihnen vordringt, und werden lebhaft und munter, solange sie von ihr beschienen werden … lieber Gott …« Ich ließ meine Lippen über Sahias Brüste gleiten, während sie sich schlangengleich in meinem Griff wand.
    »Ich habe lange auf deine Ankunft gewartet«, hauchte sie und schmiegte sich enger an mich. »Alles, was ich sehe, sehe ich durch dich. Zeig mir das Licht, das jenseits der Dunkelheit liegt!«
    Ich fand, jetzt übertrieb sie ein wenig. Zwar war nicht zu übersehen, dass sie mich ebenso begehrte wie ich sie, doch verleiteten ihre Gefühle sie zu recht extravaganten Äußerungen. Mit der einen

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