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Mortimer & Miss Molly

Mortimer & Miss Molly

Titel: Mortimer & Miss Molly Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Heinisch
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Augen. Und die Schwerkraft zieht alles an ihr hinunter.
    Aber das war eine Abschweifung, eigentlich ging es ja um das Zimmer in Alessandria. Das Zimmer, das Marco nun also beziehen wollte. Was in logischer Konsequenz dazu führen musste, dass er seine Mutter noch weniger besuchen würde als bisher. Ich werde kommen, sagte er, so oft ich kann.
    Was allerdings vom Dienstplan abhänge – damit hatte Marco nun eine gute Ausrede. Bei aller Strapaz: Im Verhältnis zu seiner Mutter war das ein Fortschritt. Nach Alessandria nahm er nur das Nötigste mit. Die Wäsche, die er dort verschwitzte, trug er in eine Expresswäscherei.
7
    Das war die Lage. Marcos Mutter, die sich schwer damit abfand, litt darunter. Und dann das: Ungefähr zehn Tage, nachdem Marco ihr diese für sie tristen Perspektiven eröffnet hatte, dieser Anruf! Natürlich hatte sie gedacht, dass
er
endlich anrufe, um ihr seinen längst fälligen Besuch anzukündigen. Sie hätte den Hörer sonst gar nicht abgehoben.
    Doch da meldete sich eine Frauenstimme. Eine Frauenstimme mit deutschem Akzent. Die Stimme einer Person, die behauptete, sich um Marco, den sie vergebens zu erreichen versucht habe, Sorgen zu machen. Das alles in einem sehr fragwürdigen Italienisch.
    Ma chi è?
, fragte Marcos Mutter. Wer sind Sie überhaupt?
    Sono Julia
, sagte die Person, als ob damit irgendetwas geklärt wäre.
    Che Julia?
, fragte Marcos Mutter. Was für eine Julia?
    Die Julia, mit der er in San Vito gewesen sei, ob er nicht von ihr gesprochen habe.
    Neanche una parola
, sagte Marcos Mutter.
    Kein einziges Wort hatte er von dieser Person gesprochen. Auch nicht von San Vito. Was für ein San Vito sollte das überhaupt sein? In Italien gab es mindestens ein Dutzend Orte dieses Namens.
    Und so weiter. Julias Kommunikation mit Marcos Mutter gestaltete sich schwierig. Sie versuchte der Signora zu vermitteln, dass sie Marco die ganze gestrige Nacht und den heutigen Tag telefonisch zu erreichen versucht habe. Und dass er, trotz ihrer wiederholten Bitte um Rückruf, kein Lebenszeichen von sich gebe. Es sei ihm doch hoffentlich nichts zugestoßen?
    Das alles auf Italienisch zu sagen, war schwer. Erst recht bei so demonstrativ geringem Entgegenkommen. Julia verstand natürlich nicht alles, was die Dame in Turin sagte. Aber so viel verstand sie, dass Marcos Mutter offenbar der Meinung war, es wäre zuallererst
ihre
Sache, sich um Marco zu sorgen.
    Und jetzt hören Sie zu, sagte sie, mein Sohn wird Arzt und absolviert sein Turnusjahr in Alessandria. Ich habe ihm geraten, sich dort ein Zimmer zu nehmen. In Turin ist er also bis auf weiteres nur selten erreichbar.
    Und nach diesen Worten legte sie auf.
8
    Am nächsten Tag schrieb Julia einen Brief an Marco. Den anderen, mit dem sie in der Nacht davor nicht weitergekommen war, hatte sie zerknüllt und in den Papierkorb geworfen. Das hätte ein Liebesbrief werden sollen, und damit hatte sie sich erstaunlich schwergetan. Gehemmt durch Rührung und etwas schlechtes Gewissen.
    Jetzt aber trieben sie ganz andere Impulse. Da hatte sie keine Probleme, Worte zu finden. Sie schrieb nun Deutsch, ob und in welche Sprache sie den Brief noch übersetzen würde, daran wollte sie vorerst keine Gedanken verschwenden. Sie schrieb einfach, wie ihr die Worte in den Sinn kamen.
    Caro Marco
, ich habe mit Deiner Mutter gesprochen. Sie scheint mich nicht besonders leiden zu können. Es ist ja nett von Dir, dass Du ihr so viel von mir erzählt hast. Aber offenbar hat sie das nicht so richtig zur Kenntnis genommen.
    Verzeih, ich hätte nicht bei ihr angerufen, wenn mich die Tatsache, dass Du auf meine ungefähr dreißig Anrufe nicht reagiert hast, nicht zutiefst beunruhigt hätte. (Ihre Nummer habe ich von der Fernauskunft bekommen.) Ich hab mir das nicht erklären können, verstehst Du? Nach Deinem lieben Brief, den ich am Vormittag davor erhalten hatte, konnte ich mir einfach nicht vorstellen, warum Du mich nicht zurückrufst.
    Außer, es wäre Dir irgendetwas passiert. Mein Gott, ich hab Dich über die Straße gehen gesehen, zerstreut und verträumt, wie Du bist, und schon warst Du von einem Auto niedergestoßen. Oder Du bist durch eine enge, dunkle Gasse gegangen und von irgendwelchen Neofaschisten, die Dich, so wie du aussiehst, als Linken erkannt haben, k.o. geschlagen worden. Oder der Zug, mit dem Du aus Alessandria nach Turin zurückgefahren bist, ist in die Luft geflogen.
    Es ist immerhin eine Erleichterung, durch Deine Mutter zu erfahren, dass Du diesen

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