Mortlock
darüber herausfinde, kann ich vielleicht was dagegen machen.«
»Das ist ja furchtbar.« Josie legte ihre Hand auf seinen Arm. Hier in dem düsteren Hinterzimmer wirkte Alfie klein und verletzlich.
»Verschon mich mit deinem Mitleid«, fauchte er und zog seinen Arm weg. »Das Leben ist hart, aber nach allem, was ich gesehen habe, kann der Tod noch viel schlimmer sein.«
»Ich meinte doch nur, dass es furchtbar sein muss, wenn einem dauernd so was passiert«, entgegnete Josie wütend. »Ich habe genug eigene Sorgen, ohne mich auch noch mit
dir
herumzuschlagen.«
»Ich komm schon alleine klar«, murmelte Alfie und starrte auf den Fußboden. Eine Weile herrschte verlegenes Schweigen, dann räusperte er sich. »Tut mir leid, dass ich heute Morgen so pampig zu dir war. Das wär nicht nötig gewesen.«
»Schon gut.« Josie lächelte etwas bemüht. »Für dich war es bestimmt genauso eine Überraschung wie für mich. Tut mir leid, dass ich mit der Flasche nach dir geworfen habe. Hat’s wehgetan? Du musst doch einen dicken blauen Fleck bekommen haben.« Sie musterte seine Stirn, wo eigentlich ein Bluterguss hätte sein müssen, doch sie war glatt und hell, ohne die geringste Spur.
»Hab ich auch.« Alfie warf ihr einen Blick zu und rieb sich über den Kopf. »Schwarz wie Wiggins’ Zylinder. Aber so was heilt bei mir schnell.«
»Innerhalb von ein paar Stunden?«, fragte Josie überrascht.
»Ja. Ist das bei dir nicht so?«
»Ich weiß nicht.« Sie hatte noch nie darüber nachgedacht.Natürlich war sie bei ihren Saltos auf der Bühne ein paarmal gestürzt, hatte sich an den Messern geschnitten oder die Finger zwischen den Seilen eingeklemmt … aber sie hatte nie irgendwelche dauerhafteren Spuren davongetragen. Manche von den Akrobaten und Schlangenmenschen, die sie hinter der Bühne sah, hatten üble Blutergüsse und Narben.
»Ich hab mich mal mit Edgy Taylor geprügelt, und wir haben uns beide die Lippen aufgeschlagen«, sagte Alfie und fuhr sich mit dem Fingerknöchel über den Mund, als könne er es noch spüren. »Meine waren nach einem Tag wieder heil, aber er sah eine Woche lang aus wie ein Kabeljau!«
Josie lachte, doch dann wurde sie wieder ernst. So eine Prügelei hatte sie noch nie erlebt. Sie hatte keine richtigen Freunde, jedenfalls keine in ihrem Alter. Die Leute im Erato waren nett zu ihr, aber sie waren alle viel älter als sie.
»Das ist merkwürdig«, murmelte sie und schüttelte den Kopf.
»Das kannst du laut sagen«, erwiderte Alfie.
»Ich meine nicht nur das. In den letzten paar Tagen ist so viel passiert.« Sie setzte sich auf einen hochbeinigen Hocker.
Alfie lauschte mit großen Augen, als Josie ihm alles erzählte. Sie lief hinauf, um den Brief zu holen, den sie zwischen den Polstern des Sofas versteckt hatte, und gab ihn Alfie zu lesen.
»Er drückt sich so komisch aus«, bemerkte er, als er ihr den Brief zurückgab. »Irgendwie klingt das … ich weiß auch nicht … seltsam.«
»Das hat Gimlet auch gemeint«, sagte Josie und musterte erneut das Gekritzel auf dem Blatt Papier. »Cardamom wolltemir noch etwas dazu sagen, aber er hat es nicht mehr geschafft …«
Sie brauchte eine kurze Pause, um sich zu fassen, bevor sie mit ihrer Geschichte fortfahren konnte. Alfie wandte den Blick ab und räusperte sich ein paarmal.
»Mannomann, du hast ja ganz schön was mitgemacht«, sagte er, als Josie geendet hatte. »Und du hast ein Bild von … meiner Mutter?«
»
Unserer
Mutter. Sie war wunderschön, eine Zigeunerkönigin.« Josie lächelte.
»Das würde ich mir gern mal ansehen …«
»Es ist noch im Haus«, erwiderte sie und wünschte, sie könnte es holen, um es Alfie zu zeigen. »Cardamom hat gesagt, unser Vater ist gestorben, als wir noch ganz klein waren. Ich habe keine Ahnung, wie er aussah oder wer er überhaupt war.«
Alfie zuckte die Achseln. »Das ist mir egal. Darüber hab ich noch nie groß nachgedacht.«
Josie nickte. Ihr ging es genauso. Sie dachte eher an ihre Mutter. Lag es daran, dass Cardamom mehr von ihr erzählt hatte, oder daran, dass sie ein Bild von ihr besaß? Sie wusste es nicht. »Bevor er starb, sagte Cardamom, du könntest mir helfen.«
»Ich wüsste nicht, wie.« Alfie zog die Stirn kraus und starrte an Josie vorbei in die Dunkelheit. »Aber ich schätze, Blut ist dicker als Wasser. Klingt, als hätte er dich … na ja, du weißt schon … ganz gern gehabt, dieser Cardamom.«
»Er war wie ein Vater für mich.« Josie spürte, wie ihr wieder die Tränen
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