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Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
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gewesen, und sie
hatten sich jahrelang unter größter Heimlichkeit getroffen, nicht zuletzt,
weil nicht die geringste Aussicht bestand, ihr Verhältnis durch eine Heirat für
rechtsgültig zu erklären.
    Sie hätte
sich leicht jemand anders aussuchen können, es hatte genug geeignete Kandidaten
gegeben, Männer, mit denen sie sich in der Öffentlichkeit hätte sehen lassen
können, ohne Gefahr zu laufen, Schande über die Familie zu bringen, aber die
Liebe ist keine kluge Beraterin, jedenfalls nicht nach Percys Erfahrung, denn
sie scherte sich nicht um gesellschaftliche Normen, um Klassenunterschiede,
Anstand oder gesunden Menschenverstand. Und obwohl Percy stets so stolz gewesen
war auf ihren Pragmatismus, hatte sie der Liebe ebenso wenig widerstehen können
wie dem Bedürfnis, Atem zu holen. Sie hatte sich in ihr Schicksal gefügt und
akzeptiert, dass sie sich ihr Leben lang mit verstohlenen Blicken, heimlich
zugesteckten Briefen und hin und wieder einem seltenen, kostbaren Stelldichein
begnügen musste.
    Percys
Wangen glühten, während sie ihr Rad schob. Kein Wunder, dass sie sich diesen
jungen Liebespaaren so verbunden fühlte. Sie ging mit gesenktem Kopf, den Blick
auf den von Laub bedeckten Weg geheftet, bemüht, niemanden in Verlegenheit zu
bringen, bis sie auf die Straße gelangte, wo sie wieder auf ihr Fahrrad stieg
und ins Dorf fuhr. Sie fragte sich, wie es sein konnte, dass die mächtige
Kriegsmaschinerie bereits in Gang gesetzt war, wo die Welt doch immer noch so
schön war, die Vögel sangen, die Blumen auf den Wiesen blühten und die Herzen
der Liebenden schlugen.
     
    Sie fuhren
an grauen, rußigen Gebäuden vorbei und hatten London noch nicht verlassen, als
Meredith merkte, dass sie pinkeln musste. Sie kniff die Schenkel zusammen und
drückte ihren Koffer fester auf den Schoß, während sie sich fragte, wo die
Reise eigentlich hinging und wie lange sie noch dauern würde. Sie war verschwitzt
und müde. Sie hatte alle ihre Marmeladenbrote schon aufgegessen und hatte kein
bisschen Hunger, aber sie langweilte sich und fühlte sich verwirrt, und sie
war sich ziemlich sicher, dass sie gesehen hatte, wie ihre Mum am Morgen eine
große Packung Schokoladenkekse in ihren Koffer gepackt hatte. Sie öffnete die
Schnappverschlüsse, hob den Deckel ein ganz klein wenig und versuchte,
hineinzulugen. Schließlich schob sie eine Hand unter den Deckel und tastete
vorsichtig nach den Keksen. Natürlich hätte sie den Koffer ganz öffnen können,
aber sie wollte Ritas Aufmerksamkeit nicht auf sich lenken.
    Da war der
Mantel, an dem Mum nächtelang genäht hatte, weiter links eine Dose
Kondensmilch, die Meredith sofort nach der Ankunft ihrer Gastfamilie
überreichen sollte, dahinter ein halbes Dutzend kleine Handtücher, deren
Verwendungszweck Mum ihr in einem hochnotpeinlichen Gespräch erklärt hatte. »Es
ist durchaus möglich, dass du zur Frau wirst, während ihr auf dem Land seid«,
hatte Mum gesagt. »Rita kann dir helfen, aber du musst auf jeden Fall darauf
vorbereitet sein.« Rita hatte gegrinst, und Meredith hatte sich geschüttelt und
überlegt, wie groß die Chance war, dass sie sich als seltene biologische Ausnahme
entpuppte. Sie fuhr mit den Fingern über den weichen Einband des Notizbuchs.
Und dann - Bingo! Darunter ertastete sie die Papiertüte mit den Keksen. Die
Schokolade war ein bisschen geschmolzen, aber es gelang ihr, einen Keks von den
anderen zu lösen. Sie drehte sich mit dem Rücken zu Rita und knabberte sich langsam
vom Rand bis zur Mitte vor.
    Hinter ihr
hatte ein Junge das vertraute Lied der Luftschutzhelfer angestimmt -
     
    Under the spreading chestnut
tree
    Neville Chamberlain said to me:
    If you want to get your gas mask
free,
    Join the blinking ARP!
     
    - und ihr
Blick wanderte zu ihrer Gasmaske. Meredith stopfte sich den Rest von ihrem Keks
in den Mund und wischte ein paar Krümel vom Kofferdeckel. Diese blöde Maske.
Sie stank ekelhaft nach Gummi, und es tat an der Haut weh, wenn man sie abnahm.
Mum hatte ihnen das Versprechen abgenommen, ihre Gasmasken immer bei sich zu
tragen und bei jedem Alarm aufzusetzen, und Meredith, Ed und Rita hatten
widerstrebend genickt. Später hatte Meredith gehört, wie Mum zu Mrs. Paul von
nebenan gesagt hatte, eher würde sie bei einem Gasangriff sterben, als unter
dieser Maske zu ersticken. Daraufhin hatte Meredith sich fest vorgenommen, ihre
Maske bei der erstbesten Gelegenheit zu verlieren.
    Ein paar
Leute standen in ihren kleinen Gärten und

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