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Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
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mindestens dreißig Jahren aussah wie ein altes
Großmütterchen, hatte ihren Strickbeutel über die Schulter geschlungen und
hielt eine Backform mit einem frisch gebackenen Biskuitkuchen in Händen. »Ach,
Miss Blythe«, sagte sie mit einem traurigen Kopfschütteln, das ihre feinen,
silbrigen Locken erzittern ließ. »Hätten Sie jemals gedacht, dass es so weit
kommen würde? Noch ein Krieg?«
    »Ich hatte
gehofft, dass es uns erspart bleiben würde, Mrs. Collins. Aber angesichts der
menschlichen Natur kann ich nicht behaupten, dass es mich überrascht.«
    »Aber noch
ein Krieg.« Die Locken erzitterten erneut. »All die jungen Männer.«
    Mrs.
Collins hatte ihre beiden Söhne im Ersten Weltkrieg verloren, und obwohl Percy
selbst keine Kinder hatte, wusste sie, wie es war, so heftig zu lieben, dass es
einen verzehrte. Mit einem Lächeln nahm sie ihrer alten Freundin den Kuchen aus
den zittrigen Händen und bot Mrs. Collins ihren Arm an. »Kommen Sie, meine
Liebe. Gehen wir hinein und suchen uns einen Platz, ja?«
    Der
Freiwilligendienst der Frauen hatte beschlossen, die Näharbeiten im
Versammlungsraum der Kirche durchzuführen, nachdem einige Wortführerinnen die
Meinung geäußert hatten, der größere Gemeindesaal mit seinem einfachen Holzboden
sei wesentlich besser für die Abfertigung der Evakuierten geeignet. Aber als
Percy ihren Blick über die vielen eifrigen Frauen wandern ließ, die dabei
waren, ihre Nähmaschinen auf den Tischen aufzubauen und große Stoffballen
auszurollen, aus denen Kleider und Decken für die Evakuierten und Verbandszeug
und Lappen für Krankenhäuser genäht werden sollten, hatte sie das Gefühl, dass
es eine schlechte Entscheidung gewesen war. Und sie fragte sich, wie viele von
diesen Frauen wohl noch kommen würden, wenn sich die erste Aufregung gelegt
hatte, schalt sich jedoch sogleich für ihre hartherzigen Gedanken. Und
heuchlerisch waren sie obendrein, denn Percy wusste, dass sie die Erste wäre,
die sich vor der Näharbeit drücken würde, sobald sich eine andere Betätigung
an der Heimatfront fand. Sie konnte nicht mit Nadel und Faden umgehen, und
heute war sie nur hergekommen, weil für sie feststand, dass, wenn es die
Pflicht aller war, zu tun, was sie konnten, die Töchter von Raymond Blythe die
verdammte Pflicht hatten, das, was sie nicht konnten, wenigstens zu versuchen.
    Sie half
Mrs. Collins auf einen Stuhl an einem der Stricktische, wo sich das Gespräch,
wie nicht anders zu erwarten, um die Söhne und Brüder und Neffen drehte, die
ihren Marschbefehl erhalten hatten. Dann brachte sie den Kuchen in die Küche,
darauf bedacht, Mrs. Caraway aus dem Weg zu gehen, deren verbissener
Gesichtsausdruck mal wieder darauf schließen ließ, dass sie eine besonders unangenehme
Aufgabe zu vergeben hatte.
    »Ah, Miss
Blythe.« Mrs. Potts von der Poststelle nahm ihr den Kuchen ab und betrachtete
ihn prüfend. »Der ist aber wirklich gelungen.«
    »Den hat
Mrs. Collins gebacken. Ich liefere ihn nur ab.« Percy wollte sich abwenden,
aber Mrs. Potts, begabt wie kaum eine andere in der Kunst, die Menschen in
Gespräche zu verwickeln, warf umgehend ihr Netz aus.
    »Wir haben
Sie am Freitag bei der Zivilschutzübung vermisst.«
    »Ich hatte
andere Verpflichtungen.«
    »Wie
schade. Mr. Potts sagt, Sie geben immer so einen guten Verwundeten ab.« »Wie
nett von ihm.«
    »Und
niemand bedient die Spritzpumpe mit so viel Schwung.«
    Percy
lächelte gequält. Speichelleckerei war ihr zuwider.
    »Sagen
Sie, wie geht es denn Ihrem Vater?« Ihre Frage triefte vor Sensationsgier, und
Percy musste sich beherrschen, um der Postmeisterin nicht Mrs. Collins' Kuchen
ins Gesicht zu drücken. »Ich habe gehört, er hatte einen Rückfall.«
    »Es geht
ihm den Umständen entsprechend gut, Mrs. Potts. Danke der Nachfrage.« Sie
musste daran denken, wie ihr Vater neulich abends im Nachthemd durch die Flure
gegeistert war, sich weinend wie ein Kind hinter den Treppen versteckt und
immer wieder gejammert hatte, der Turm sei verflucht und der Modermann wäre
hinter ihm her. Sie hatten Doktor Bradbury gerufen, der ihm ein stärkeres
Medikament gegeben hatte, aber ihr Vater hatte noch stundenlang gezittert und
mit aller Macht gegen die Wirkung angekämpft, bis er schließlich erschöpft
eingeschlafen war.
    »Wie
bedauerlich«, sagte Mrs. Potts mit sorgenvoll bebender Stimme, »wenn einen
Menschen, der der Gemeinde so große Dienste erwiesen hat, die Gesundheit derart
im Stich lässt. Aber es ist ein Segen, dass er

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