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Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
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erfüllte, aber für etwas anderes
durchaus noch zu gebrauchen war.
    Saffy zog
die Kiste in die hinterste Ecke der Vorratskammer, stieg darauf und reckte sich
auf Zehenspitzen. Sie tastete das oberste Regalbrett ab, bis ihre Finger ganz
hinten eine kleine Konservendose berührten. Sie bekam die Dose zu fassen, nahm
sie lächelnd vom Regal und stieg von der Kiste. Der Staub von Monaten hatte
sich darauf gesammelt, fettiger Dampf hatte sie mit einer klebrigen Schicht
überzogen, und sie musste sie erst mit dem Daumen abwischen, um das Etikett
lesen zu können: Sardinen. Perfekt! Sie umklammerte die Dose ganz fest, und der
Reiz des Verbotenen ließ ihr Herz höherschlagen.
    »Keine
Sorge, Daddy«, sang sie vor sich hin, während sie den Dosenöffner aus der
Schublade mit den Küchenutensilien kramte und sie mit der Hüfte schwungvoll wieder
schloss. »Die sind nicht für mich.« Es war einer der unumstößlichen Glaubenssätze
ihres Vaters gewesen: Konserven waren Teil einer Verschwörung, und sie sollten
eher verhungern, als sich auch nur einen Löffel vom Inhalt einer Konservendose
einzuverleiben. Wer und aus welchem Grund ein Komplott gegen ihn schmiedete,
war Saffy immer ein Rätsel geblieben, aber in dieser Sache war ihr Vater
unnachgiebig gewesen, und das hatte gereicht. Er duldete es nicht, dass man
sich ihm widersetzte, und über lange Jahre hatte sie auch kein Bedürfnis dazu
verspürt. Während ihrer Kindheit war er tagsüber ihre Sonne gewesen und nachts
ihr Mond; die Vorstellung, dass er sie jemals enttäuschen könnte, gehörte in
das Reich der Dämonen und Albträume.
    Saffy
kippte die Sardinen in eine Porzellanschüssel, die einen feinen Sprung hatte,
was ihr jedoch erst auffiel, nachdem sie den Fisch bereits zu einem
undefinierbaren Brei zerstampft hatte. Den Hühnern wäre der Riss in der
Schüssel gleichgültig, aber sie hatte eben erst festgestellt, dass sich die
Tapete über dem Kamin im Speisezimmer von der Wand löste, und damit waren es
innerhalb kürzester Zeit schon zwei Anzeichen des Niedergangs. Sie nahm sich
vor, die Teller, die sie für den heutigen Abend bereitgestellt hatte, genauestens
unter die Lupe zu nehmen und diejenigen zu verstecken, die ebenfalls einen
Sprung aufwiesen; solche Verschleißerscheinungen brachten Percy nur auf die
Palme, und obwohl Saffy ihre Zwillingsschwester für die Hingabe bewunderte,
mit der sie sich Schloss Milderhurst und seiner Erhaltung widmete, wäre Percys
Missstimmung einem geselligen Abend in festlicher Stimmung, wie Saffy ihn sich
vorstellte, nicht gerade förderlich.
    Dann
geschahen mehrere Dinge gleichzeitig. Die Tür schwang quietschend auf, Saffy zuckte
zusammen, und ein Stückchen Sardinengräte fiel von der Gabel auf die Fußbodenfliesen.
    »Miss
Saffy!«
    »Ach,
Lucy! Du bist es!« Saffy schlug sich die Hand, in der sie die Gabel hielt, ans
pochende Herz. »Du hast mich zu Tode erschreckt!«
    »Tut mir
leid. Ich dachte, Sie wären draußen, um Blumen fürs Speisezimmer zu pflücken
... Ich wollte nur ... Ich ...« Die Haushälterin brach mitten im Satz ab, als
sie näher kam und den Fischbrei und die offene Dose gewahrte. Sie ließ ihren
ursprünglichen Gedankengang fallen, als sie Saffys Blick begegnete. Ihre
schönen, veilchenblauen Augen weiteten sich. »Miss Saffy!«, stieß sie hervor.
»Ich hätte nie gedacht ...«
    »O nein,
nein, nein!« Saffy brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen und legte
lächelnd einen Finger an ihre Lippen. »Schsch, Lucy, meine Liebe. Die sind doch
nicht für mich, auf gar keinen Fall. Die sind fürs Federvieh.«
    »Ach so.«
Lucy war sichtlich erleichtert. »Das ist natürlich etwas anderes. Nicht
auszudenken, wenn er«, ihr Blick
wanderte ehrfurchtsvoll nach oben, »sich aufregen würde.«
    Saffy gab
ihr recht. »Dass mein Vater sich im Grab umdreht, ist wirklich das Letzte, was
wir heute gebrauchen können.« Mit einer Kopfbewegung wies sie auf den
Erste-Hilfe-Kasten. »Würdest du mir ein paar Aspirin herausnehmen?«
    Lucy
runzelte sorgenvoll die Stirn. »Fühlen Sie sich nicht gut?«
    »Die sind
für die Hühner. Sie sind ganz durcheinander, die Ärmsten, und nichts beruhigt
die Nerven so gut wie Aspirin, außer vielleicht ein ordentliches Glas Gin, aber
das wäre doch ziemlich unverantwortlich.« Mit einem Löffel zerdrückte Saffy die
Tabletten. »So niedergeschlagen habe ich sie nicht mehr erlebt seit dem
Bombenangriff am zehnten Mai.«
    Lucy
erbleichte. »Wollen Sie damit sagen, sie spüren, dass

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