Morton, Kate
Ecke eine kleine Glasvase — eine alte,
hübsche Flasche würde es zur Not auch tun - mit einer einzigen, voll erblühten
Blume, die sie täglich ersetzen würde. Nur das Radiogerät würde ihr
Gesellschaft leisten, und sie würde im Lauf des Tages ihre Tipparbeit mehrmals
unterbrechen, um den Wetterbericht zu hören, würde die Welt, die sie auf dem
Papier erschuf, kurz verlassen und durch das Fenster den klaren, rauchfreien
Londoner Himmel betrachten. Sonnenlicht würde ihren Arm streifen, in ihre
winzige Wohnung fallen und das Bienenwachs auf den Möbeln zum Glänzen
bringen. Abends würde sie ihre aus der Bücherei entliehenen Bücher lesen, noch
ein wenig an ihrem Text schreiben und im Radio Gracie Fields hören, und niemand
würde aus dem anderen Sessel murren, das seien sentimentale Schnulzen.
Saffy
blieb stehen, legte die Hände an ihre warmen Wangen und seufzte zufrieden. Ihre
Träume von London, von ihrer Zukunft, hatten sie bis auf die Rückseite des
Schlosses geführt, und sie hatte es sogar noch vor dem Regen geschafft.
Ein Blick
zum Hühnerhaus, und ihre Freude wurde getrübt. Wie sie ohne ihr geliebtes
Federvieh leben sollte, wusste sie noch nicht; ob es eine Möglichkeit gab, die
Tiere mitzunehmen? In dem kleinen Garten hinter dem Haus wäre doch sicher
Platz genug für einen kleinen Hühnerauslauf - sie würde die Bedingung einfach
in ihre Liste aufnehmen müssen. Saffy öffnete das Törchen und streckte die Arme
aus. »Hallo, meine Süßen! Wie geht's euch heute?«
Helen-Melon
plusterte ihre Federn, rührte sich jedoch nicht von der Stange, und Madame
geruhte nicht einmal, zu Saffy aufzublicken.
»Kopf
hoch, Mädels, noch bin ich nicht weg. Erst müssen wir noch den Krieg gewinnen.«
Als ihre
Worte nicht den gewünschten aufmunternden Effekt hatten, verschwand Saffys
Lächeln. Schon seit drei Tagen war Helen niedergeschlagen, und Madame machte
normalerweise lautstark auf sich aufmerksam. Die jüngeren Hennen richteten
sich in der Regel nach den beiden älteren, und so war die Stimmung im ganzen
Hühnerstall getrübt. Während der Bombenangriffe hatte Saffy sich an solche
Stimmungstiefs gewohnt; Hühner waren genauso empfindsam wie Menschen, genauso
ängstlich, und die Bomber waren gnadenlos gewesen. Am Ende hatte sie alle acht
Hennen abends mit in den Luftschutzkeller genommen. Sicher, die Luft da unten
war daraufhin noch schlechter geworden, aber letztlich hatten doch alle
Beteiligten davon profitiert: Die Hennen hatten wieder angefangen zu legen,
und da Percy meistens nachts im Einsatz war, war Saffy froh gewesen, nicht
allein im Keller zu hocken.
»Komm
schon«, gurrte sie und nahm Madame in die Arme. »Sei nicht so grantig, meine
Kleine. Es ist doch bloß ein Gewitter, das da aufzieht, mehr nicht.« Der
warme, federbedeckte Körper entspannte sich, aber nur einen Augenblick lang,
dann ergriff die Henne unbeholfen flügelschlagend die Flucht und ließ sich
wieder auf dem Boden nieder, wo sie in der Erde gescharrt hatte.
Saffy
schlug sich den Dreck von den Händen und stemmte sie in die Hüften. »So schlimm
steht's also? Dann hilft wohl nur eins.«
Abendessen.
Das Einzige, was Saffy einfiel, um ihre Mädels aufzuheitern. Sie waren nämlich
unersättlich, und das war gut so. Ließen sich doch nur alle Probleme der Welt
mit einer leckeren Mahlzeit lösen. Eigentlich war es noch ein bisschen früh,
aber sie befand sich in einer Notsituation: Der Tisch im Speisezimmer war noch
nicht gedeckt, der Vorlegelöffel fehlte, Juniper und ihr Gast würden jeden
Moment vor der Tür stehen - und da sie bereits Percys schlechte Laune zu
ertragen hatte, waren eine Handvoll übel gelaunter Hennen das Letzte, was sie
jetzt gebrauchen konnte. So. Es war eine praktische Entscheidung, es ging
allein darum, die Mädels wieder aufzuheitern, und es hatte nichts damit zu tun,
dass Saffy eine hoffnungslose Romantikerin war.
Die Küche
war erfüllt von den Dämpfen des Abendessens, das sie aus dem gezaubert hatte,
was die Vorratskammer noch hergab und was sie von den Bauern in der
Nachbarschaft hatte erbetteln können, und Saffy zupfte an ihrer Bluse, um sich
Kühlung zu verschaffen. »So«, stöhnte sie, »wo war ich stehengeblieben?« Sie
hob den Deckel der Kasserolle an, um sich zu vergewissern, dass die Soße in
ihrer Abwesenheit nicht verkocht war, und schloss aus dem Schnauben des Ofens,
dass die Pastete noch darin garte. Dann fiel ihr Blick auf eine alte Holzkiste,
die ihren ursprünglichen Zweck nicht mehr
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