Morton Rhu - Leben und Werk
allerdings anders begründet.
Der Regisseur inszeniert eine Stimmungslage, die weit verbreitet an deutschen Schulen ist: Im Gegensatz zu den amerikanischen Schülern fühlen sich viele der im Film zu Wort kommenden Jugendlichen über-aufgeklärt, sie »nervt« das ganze Gerede vom Nationalsozialismus. Die Faschismus-Immunität, die sie für sich beanspruchen, resultiert hier also aus dem Gefühl, schon (zu) viel über das Dritte Reich gelernt zu haben. Dieser Auftakt zur Projektwoche ist somit ein entscheidender Moment in der filmischen Umsetzung der Welle, weil er zeigt, was einen Lehrer hier und heute motivieren könnte, einen Versuch zu unternehmen, unter Jugendlichen faschistische Strukturen zu etablieren. Zudem wird in der Drehbuchfassung das breite Meinungsspektrum deutlich, das im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus heutzutage an deutschen Schulen existiert. Der Auftakt der Projektwoche ist im Film damit differenzierter als in der amerikanischen Vorlage und berührt neben dem zentralen Thema des Gefühls der Immunität noch andere Gedanken Jugendlicher im Hinblick auf den Faschismus. Da ist zum Beispiel der Wunsch nach einem »guten Diktator« oder auch das Gefühl, die Verarbeitung des Themas »Nationalsozialismus« drehe sich in erster Linie um das Thema »Schuld«. Wenige Schüler repräsentieren hier mit kurzen, pointierten Äußerungen die Gefühlslage einer ganzen Generation.
Genauso wie in der Szene, die den Auftakt der Projektwoche schildert, hat Dennis Gansel auch in der Schlussszene entscheidende Veränderungen im Vergleich zum Roman vorgenommen.
Während der Lehrer im amerikanischen Original-Experiment und in Morton Rhues Roman den Schülern am letzten Tag der Welle bei einer Vollversammlung von einer »nationalen Jugendbewegung« erzählt und ihnen verspricht, nun in einem Video den nationalen Führer vorzustellen (woraufhin das Bild Adolf Hitlers auf der Leinwand erscheint), hat Dennis Gansel für das junge deutsche Publikum einen dramatischeren, gleichwohl subtileren Schluss gewählt.
Subtiler, weil auf die direkte Botschaft »Gäbe es einen Führer, dann wäre er ein Diktator wie Adolf Hitler« verzichtet wird. Dramatischer, weil der Lehrer Rainer Wenger die Schüler ihr faschistisches Denken in ihrem eigenen Handeln erkennen lässt. Wenger lässt auf der letzten Vollversammlung den »Verräter« Marco, der sich offen gegen die Welle ausgesprochen hat, von einer Gruppe begeisterter Welle-Anhänger nach vorne auf die Bühne zerren. Die Sache ist mit Marco abgesprochen, er weiß, dass das Experiment sogleich beendet wird. Unter den übrigen Schülern im Saal hingegen heizt Rainer die Stimmung an. Er beschimpft Marco laut als »Verräter« – die Schüler beginnen noch schlimmere Beschimpfungen durch den Saal zu rufen. Schließlich fragt Rainer, was mit dem »Verräter« auf der Bühne denn nun geschehen soll. Niemand antwortet, woraufhin er noch einmal ganz explizit Bomber fragt: »Bomber. Was passiert mit dem Verräter? … Du hast Marco doch mit hier raufgetragen. Warum?« Bombers Antwort ist erschreckend bezeichnend: »Weil Sie es gesagt haben?« Hier beginnt Rainer das Experiment aufzulösen: »Und wenn ich dir sage, du sollst Marco töten, machst du das dann auch?« Er wird nun im Tonfall immer energischer und bietet den Schülern verschiedene Alternativen für Marcos Schicksal – von der Folter bis zur Vergasung. Die Stimmung im Saal ist völlig gekippt, und als Rainer schließlich eine Masse verwirrter, betroffener Schüler vor sich hat, ändert er seinen Tonfall und redet wieder als der Pädagoge, den sie vor der Welle kannten, über das Ende eines Experiments, das zu weit ging.
So verzichtet der Film im Vergleich zur amerikanischen Vorlage weitestgehend auf die direkte Rückführung zum Faschismus im Dritten Reich – die für die deutschen Jugendlichen ohnehin offensichtlich genug ist. Der Film konzentriert sich viel eher auf den Faschismus, der in jedem von uns irgendwie steckt und jederzeit und überall möglich ist.
Neben den Unterschieden beim Auflösen des Experiments hat Dennis Gansel noch eine weitere entscheidende Veränderung in der Schlussszene vorgenommen, nämlich die Dramatisierung der Rolle des Außenseiters Robert (bei Morton Rhue) bzw. Tim (bei Dennis Gansel).
Der Roman endet mit der Aussicht auf ein Gespräch zwischen Robert und dem Fast-Führer Ben Ross, was den Leser über Roberts Rolle in der Welle nachdenken lässt. Im Film wird dieser Effekt deutlich
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