Moser Und Der Tote Vom Tunnel
Müller in die Stadt gefahren, um einige Dinge zu besorgen. Er sprach fast akzentfrei Deutsch, was meine Tante wunderte. Außerdem sah sie eine Zeitung neben ihm auf dem Bock liegen. Demnach konnte er auch in deutscher Sprache lesen.
Es blieb übrigens das einzige Mal, dass Tante Lenchen den Ungarn sah. Müller kommt seither wieder allein.«
»Aha!«, riss Moser das Wort an sich, »Somody war also mit diesem Knecht aus der Wirtschaft bekannt. Belieferte der nicht auch das Lager mit Proviant?«
»Genau, Herr Kriminalrat, dort haben wir ihn im Februar auch gesehen«, erklärte Sehnert, »Wadle versorgt das Eisenbahnerlager mit Nachschub und schickt vor allem den Müller-Peter dorthin. Hannes, der zweite Knecht, fährt die Bierkutsche und den Kartoffelwagen nur selten.
Das heißt, Müller könnte unser Mann sein. Er wäre auf jeden Fall ein idealer Komplize für Somody gewesen. Sozusagen seine Verbindung nach draußen.«
»Ich glaube, wir sollten diesen Peter Müller einmal genauer unter die Lupe nehmen. Aber wir müssen umsichtig vorgehen. Würden wir in die Wirtschaft ›Zur Post‹ kommen, um ihn zu verhören, wäre die Gefahr viel zu groß, dass er uns entwischt, sofern er es war.
Wir sollten ihm besser in gewisser Weise eine Falle stellen und ihn überraschen. Denn wir haben keinen Beweis für seine Schuld. Sagen Sie, wann bringt Müller das nächste Mal die Pacht bei Ihrer Tante vorbei?«
»Ich glaube, der Pachtzins wird immer am 15. jeden Monats fällig. Wieso?«
»Könnten Sie sich vorstellen, dass wir ihn im Haus Ihrer Tante überraschen? Oder anders gefragt: Glauben Sie, dass Ihre Tante bei einer solchen Aktion mitspielen würde?«
Sehnert antwortete, ohne lang zu zögern: »Herr Kriminalrat, da bin ich sicher!«
»Sie sagten: der 15.? Das ist heute. Dann müssen wir uns beeilen. Lassen Sie uns auf schnellstem Weg zu Ihrer Tante …«
In der Höhstraße
Sehnert ließ den Dienstwagen anspannen und der Kutscher brachte ihn gemeinsam mit Moser und Greiner zum Haus seiner Tante unterhalb des Buchsweiler Tores. Dort angekommen, inspizierte Moser zunächst die Gegebenheiten. Das große, zweistöckige Haus von Tante Magdalena stand frei, mit der Traufe zur Höhstraße. Jedoch stieg vor dem Haus die Straße steil zum Torplatz an, dahinter war vor der Fassade ein schmaler Hofraum. Ein Teil der Fenster des Erdgeschosses wurde durch den Straßendamm verdeckt. Nur das Obergeschoss überragte den Damm in ganzer Länge. In der Mitte der Straßenseite führte ein kleiner Steg zur Haustür, die wie bei den Nachbarhäusern ungewöhnlicherweise im Obergeschoss lag. Auf beiden Seiten des Zugangs zu dieser kleinen Brücke besaß der Straßendamm stabile Eisengeländer.
»Ist das der einzige Zugang, der direkt auf die Straße führt?«, fragte Moser und deutete auf den Steg.
»Ja, Herr Kriminalrat«, erklärte Sehnert, »die untere Haustür führt nur in den Hof, der ansonsten vollkommen unzugänglich ist. Tante Lenchen wohnt oben, im unteren Stockwerk ihre Schwiegertochter mit den Kindern.«
»Dann ist dieses Haus wie geschaffen für unser Vorhaben. Sorgen Sie bitte dafür, dass nachher zwei Gendarmen am Zugang zu diesem Steg postiert werden, sobald Müller im Haus ist. Könnte durchaus sein, dass er fliehen will, wenn er uns sieht …«, ordnete Moser an. »Und nun stellen Sie mich Ihrer Tante vor, Sehnert.«
Die alte Dame war entzückt über den Besuch und bot den Herren ein verspätetes Frühstück an. Sehnert erläuterte kurz das Vorhaben, Müller unter einem Vorwand ins Haus zu bitten, damit er dort verhört werden konnte. Tante Lenchen war ganz aufgeregt darüber, dass sie vielleicht bei der Überführung und Festnahme eines Mörders behilflich sein könnte. Selbstverständlich willigte sie ein. Es wurde verabredet, Sehnert, Moser und Greiner würden gegen vier Uhr nachmittags in die Höhstraße zurückkommen, um im Haus die Ankunft von Müller abzuwarten, der hoffentlich allein war.
Als die Herren kurz vor vier wieder in der Höhstraße ankamen, wartete Tante Lenchen schon ganz unruhig. Moser dachte sich: Hoffentlich macht die Gute nachher keinen Fehler …
In diesem Moment betrat ein etwa zehnjähriges Mädchen das Zimmer.
»Darf ich Ihnen Lilli – eigentlich Elisabetha – meine Enkelin, vorstellen? Sag doch bitte den Herren artig Guten Tag, Lilli.«
Moser war auf so etwas nicht vorbereitet, außerdem konnte er mit Kindern nicht viel anfangen. Er heuchelte, er freue sich, Lilli
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