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Moskito

Moskito

Titel: Moskito Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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vertiefte sich. Er war nicht hungrig. Es war zu früh, um schlafenzugehen, erst sechs Uhr abends. Und er konnte sich nicht dazu aufraffen, ins Kino zu gehen. Er holte sich ein Bier aus dem Kühler, aber das Eis war geschmolzen, und die Flaschen schwappten in dem Wasser so hektisch auf und ab, als trüge jede einzelne davon die verzweifelte Botschaft eines Gestrandeten mit sich. Cavanaugh schaltete das Fernsehgerät ein. Es funktionierte nicht.
    Also hörte er Radio, und so erfuhr er, daß Michael Sean Donohue, wie sein Anwalt im Zuge einer von ihm einberufenen Pressekonferenz erklärte, zwei separate Lügendetektortests beim FBI mit der höchsten Note für absolute Ehrlichkeit bestanden hatte.
     
    Am nächsten Tag fuhr Cavanaugh zurück nach Rivermount. Nachdem er fünf Minuten lang über die Main Street spaziert war, erblickte er Earl Lester.
    Nein, es war nicht Earl. Dieser Junge war zu klein, um Earl zu sein. Aber er sah genauso aus wie dieser: Haare, Haut und Augen – alles in der gleichen Farbe, einem verwaschenen Mausgrau. Die Haut spannte sich über scharf hervortretende Knochen und war nicht allzu sauber. Unter Cavanaughs Blick blinzelte das Kind zweimal und starrte zurück.
    Ein zweiter Earl Lester en miniature, diesmal weiblich, kam aus dem Supermarkt, gefolgt von einem größeren, einer hochgewachsenen jungen Frau, die einen winzigen, dürren, ausgebleicht mausgrauen Earl in Windeln und einem Baltimore-Orioles-T-Shirt auf dem Arm trug.
    Cavanaugh machte einen Schritt vor. »Verzeihung, Miss, sind Sie Earl Lesters … äh … Schwester?«
    Sie blinkte ihn zweimal an. »Ja, und?«
    »Ist er hier? Mein Name ist Robert Cavanaugh. Ich habe im Juni in Earls Schule einen Vortrag gehalten, und er hat mir damals ein paar Fragen gestellt, auf die ich jetzt eine Antwort habe. Könnte ich vielleicht mit ihm sprechen?«
    Sie sagte nichts, sah ihn nur nachdenklich an und ging dann an ihm vorbei und davon. Die drei kleineren Kinder folgten ihr.
    »Bitte, Miss Lester! Es ist wichtig!«
    Sie marschierte weiter.
    Cavanaugh wollte sich nur ungern als FBI-Agent vorstellen, weil sie dann möglicherweise seinen Ausweis sehen wollte, und es ihm nicht gestattet war, ihn zu benutzen, ebensowenig wie seine Waffe. Und es war ihm auch nicht gestattet, zu diesem Fall oder irgendeinem anderen Ermittlungen anzustellen. Es war ihm nur gestattet, in Sack und Asche Reue zu üben. Was äußerlich durchaus zu Miss Lester gepaßt hätte.
    Zu ihrem entschwindenden Rücken sagte er: »Ich hoffte, daß Earl mir bei einigen Arbeiten zur Hand gehen könnte. Arbeiten mit Insekten. Für sieben Dollar die Stunde.«
    Sie blieb stehen, drehte sich um und blinkte zweimal. »Sieben?«
    »Ja.«
    »Kommen Sie mit.«
    Um die Ecke stand ein Pickup-Truck mit etlichen weiteren Lesters unterschiedlichen Alters auf der Ladefläche. Sie sahen alle gleich aus und blinzelten Cavanaugh zweimal entgegen.
    Miss Lester fragte Richtung Ladefläche: »Earl, kennste den Typen?«
    »Klar«, sagte Earl ausdruckslos. »Agent Cavanaugh vom FBI.«
    Sie zog diese Information in Erwägung. »Dann wird er wohl kein Perversling sein. Okay Earl, hüpf runter. Er hat Arbeit für dich, Fliegen klatschen für sieben Dollar die Stunde. Nimm meine Uhr.«
    Sie verlegte das Kleine auf den anderen Arm, nahm eine 8 Dollar 99-Timex vom Handgelenk und hielt sie Earl hin. Alle Lesters bis auf Earl kletterten auf die Ladefläche oder blieben darauf hocken, und Miss Lester stieg mit dem Baby ins Fahrerhaus. Nachdem sie weggefahren war, standen Cavanaugh und Earl auf dem heißen Gehsteig und starrten einander an. Earl wartete blinzelnd.
    »Es handelt sich nicht darum, Fliegen zu klatschen«, sagte Cavanaugh. »Es handelt sich zwar um Mücken, aber es ist nicht leicht zu erklären, weil ich selbst nicht weiß, wofür ich dich brauche, bis ich dir nicht eine Reihe von Fragen gestellt habe. Warum hast du mich vor ein paar Wochen angerufen und bist zu meinem Haus gekommen?«
    »Wollte fragen, ob ich helfen kann bei der Malaria-Geschichte«, antwortete Earl. »Sagte Ihnen ja schon früher, Insekten verraten uns ’ne Menge über alles mögliche. Aber Sie haben sich dann nich’ mehr gerührt bei mir.«
    Cavanaugh erahnte leichten Groll. Er sagte: »Na, aber jetzt habe ich mich doch gerührt, oder? Und jetzt brauche ich deine Kenntnisse über Insekten. Malaria reading …«
    »Sie sagten, dafür haben Sie sowieso das ganze Institut für Gesundheitswesen«, unterbrach ihn Earl immer noch ausdruckslos.

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