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Moskito

Moskito

Titel: Moskito Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Patsy Cline, Jim Reeves, Loretta Lynn. Nachdem er der Unterhaltung neunzig Sekunden lang gelauscht hatte, sagte eine der Nutten betont laut: »Laßt uns gehen, Jungs, weg von dem Bullen.« Nicht schlecht, dachte Cavanaugh. Ein aufgewecktes Kind. Würde einen besseren Agenten abgeben als, sagen wir, Seton.
    Aber er hatte ohnehin genug gehört. Die zwei Männer hatten gesprochen, und keine der beiden Stimmen ähnelte jener auf Melanies Kassetten, die Cavanaugh bis zum Überdruß abgehört hatte. Damit verbrachte er den Rest seiner Tage: mit dem Einprägen einer rassistischen Stimme und eines psycholinguistischen Profiles:
     
    DER SPRECHER IST EIN MÄNNLICHER WEISSER, ALTER ZWISCHEN FÜNFUNDDREISSIG UND FÜNFUNDVIERZIG, BILDUNGSWEG ZUMINDEST BIS ZUM NIEDRIGSTEN AKADEMISCHEN GRAD IN NATURWISSENSCHAFTEN (PHILOSOPHIE WENIGER WAHRSCHEINLICH), ABER KEIN DOKTORAT. ER STAMMT URSPRÜNGLICH AUS GEORGIA, HAT ABER INNERHALB DER LETZTEN FÜNF JAHRE ZIEMLICH VIEL ZELT IN NEW ENGLAND VERBRACHT. DAS, WAS ER SAGT, ERREGT IHN SOWOHL EMOTIONAL ALS AUCH SEXUELL. ER IST VERMUTLICH WEDER VERHEIRATET, NOCH LEBT ER MIT EINER FRAU ZUSAMMEN. DER SPRECHER IDENTIFIZIERT SICH MIT TRADITIONEN UND STRUKTUREN, JE STRUKTURIERTER UM SO BESSER: ALS SCHUTZ GEGEN EIN SEHR CHAOTISCHES INNENLEBEN. ER FÜRCHTET ALLES, WAS IN SEINEN AUGEN DIESE TRADITIONEN UND STRUKTUREN BEDROHT. WEIL ER ANGST VOR DEM ALLEINSEIN HAT, VERBRINGT ER VERMUTLICH SEINE FREIZEIT MIT ÄHNLICH DENKENDEN INDIVIDUEN. BESUCHT MÖGLICHERWEISE ZAHLREICHE PARTIES … KASSETTE NR. 2: IM INNEREN EINES GEBÄUDES. VERSTÄRKUNG LÄSST EIN VIDEOSPIEL ERKENNEN, EINEN SPIELAUTOMATEN, KLAPPERNDE GLÄSER UND ZAHLREICHE NICHT UNTERSCHEIDBARE GESPRÄCHE. ÖRTLICHKEIT ENTWEDER EINE BAR ODER EINE GROSSE PRIVATPARTY.
    KASSETTE NR. 3: VERMUTLICH DIESELBE ÖRTLICHKEIT WIE BEI KASSETTE NR. 2, ABER MIT WENIGER ANWESENDEN.
     
    Cavanaugh schlenderte zur nächsten Gruppe vierzigjähriger männlicher Weißer, die mit ähnlich denkenden Individuen ihre Freizeit an der traditionellen Örtlichkeit der klappernden Gläser und der Spielautomaten verbrachten. Das war die Gruppe von fünf Männern an einem Tisch. Nur drei von ihnen unterhielten sich, die anderen beiden konzentrierten sich aufs Trinken. Cavanaugh drückte sich so lange in unmittelbarer Nähe dieses Tisches herum, daß der Lautstärkste der fünf Kerle anfing, ihn mit dem ›Hau-ab-Wichser-oder-du-kriegst-eins-in-die-Fresse‹-Blick anzustarren. Glücklicherweise bestellten die zwei schweigenden Trinker am Tisch frisches Bier, ehe das geschehen konnte. Sie sprachen beide mit texanischem Akzent.
    Die zwei Männer am Pool-Tisch waren einigermaßen gesprächig, aber keiner hatte die Stimme von Melanies Aufnahmen.
    Entmutigt verließ Cavanaugh das ›Bull Shift‹ und ging zu seinem Wagen. Die feuchtwarme Nacht legte sich über ihn wie dampfende, juckende Wolle. Bis jetzt hatte er vierunddreißig Bars abgegrast – ein Tagesdurchschnitt von sechskommaacht, gerundet. Noch eine würde ihn auf eine glatte Sieben bringen.
    Beim Licht der Innenbeleuchtung des Wagens konsultierte er seine Liste. Die nächste Bar wäre das ›Alligator‹ – weiter entfernt von Fort Detrick als die meisten anderen, aber vielleicht würde die Fahrt dorthin ihm einen klaren Kopf bescheren. Er wußte, er sollte auf Club-Soda umsteigen, aber diese Bars waren nicht von der Sorte, wo man Club-Soda bestellen konnte, ohne Aufmerksamkeit zu erregen.
    Cavanaugh hatte noch nicht einmal einen Barstuhl erreicht, als er ihn hörte.
    Ohne sich umzudrehen, ließ er sich am nächsten Tisch nieder. Er bestellte Wodka-Tonic und blickte hinüber auf die Tafel, auf der die Spezialsandwiches aufgelistet waren. Die Stimme von Melanies Kassetten saß mit drei anderen Männern zusammen. Alle vier redeten durcheinander, aber sie waren nicht betrunken. Cavanaugh drehte sich zurück und nahm einen Schluck.
    »… und dann sagt Rollins …«
    »Haben Sie schon etwas gewählt?« fragte eine Kellnerin.
    »Nein … ja, ein … äh … Roastbeef-Sandwich, bitte.«
    »… weiß nicht einmal, wie …«
    »Mit Meerrettich? Oder Senf?«
    »Nein.«
    »… aber erst, nachdem Mitchell sich die Kerle vorgenommen hatte, klar? Und Rollins …«
    »Vielleicht Salat oder Tomate?«
    »Nein!« zischte Cavanaugh, bevor sie noch mehr Schallwellen mit Mayonnaise, Ketchup oder Chilisauce überdecken konnte. Mit gekränkter Miene marschierte sie davon.
    »… das wird ihnen zeigen, was passiert, wenn sie noch mal Mist bauen!«

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