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Moskito

Moskito

Titel: Moskito Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Gewißheit war sie schon morgens aufgewacht und war seither nicht fähig zu arbeiten. Mittag, und sie hatte immer noch das Nachthemd an. Mittag, und sie hatte noch nichts gegessen. Mittag, und sie war über eine Telefonleitung im Internet gewesen, während ihre Blicke unausgesetzt zu dem Apparat an der anderen Leitung wanderten. Sie benahm sich wie der hirntote, weibchenhaft-abhängige Stereotyp einer Klette und sie wußte es und sie konnte nichts dagegen tun.
     
    BETR.: (KEIN EINTRAG)
    VON: [email protected]
    AN: [email protected]
    EURE BOTSCHAFTEN HEUTE WIDERN MICH AN! BEI DER SACHE MÜSSEN WIR ZUSAMMENHALTEN UND DÜRFEN UNS NICHT MIT SCHULDZUWEISUNGEN ODER SCHADENFREUDE ODER PARTEIGEIST AUFHALTEN! SEHT IHR NICHT, DASS DAS, WAS HEUTE EINER ETHNISCHEN GRUPPE ZUGEFÜGT WIRD, MORGEN SCHON EINER ANDEREN ZUGEFÜGT WERDEN KANN? IN JEDER VOLKSGRUPPE GIBT ES GEWISSE GENETISCHE ANOMALIEN, DIE SICH JEMAND ZUNUTZE MACHEN KÖNNTE! ‹NIEMAND› IST SICHER!
     
    Judy nickte. Diese MeloriaD hatte recht. Und das könnte der Aufhänger für einen Artikel sein, vorausgesetzt, sie fand ausreichend Material über Anomalien bei anderen ethnischen Gruppen. Über die Iren zum Beispiel – bis vor ein paar hundert Jahren waren sie über Jahrhunderte hinweg isoliert vom Rest der Welt; vielleicht reichte das für das Auftreten von lebensfähigen Mutationen des genetischen Materials und ihre Ausbreitung innerhalb einer ganzen Population? Oder bei den Chinesen? Nein, eine ethnische Gruppe, die in den Vereinigten Staaten stärker repräsentiert war, würde den Artikel interessanter machen. Nicht die Italiener; alles, was je rund ums Mittelmeer existiert hatte, war irgendwann durch Italien hindurchgetrampelt: nicht genügend genetische Isolation. Die Schweden?
    Das Telefon klingelte.
    Judy schloß die Augen und ließ es klingeln. Dann griff sie nach dem Hörer. »Hallo?«
    »Judy? Robert.«
    »Hallo, Robert.« Es überraschte sie ein wenig, wie ruhig sie klang.
    »Tut mir leid, daß ich nicht früher angerufen habe. Es war ein … na ja, du hast ja die Zeitungen gesehen. Über Malaria reading.«
    Die ewiggleiche männliche Ausrede: der Arbeitsstreß. Aber sie hörte den Anklang von Nervosität in seiner Stimme. Also …
    »Nur ist jetzt … also, ich habe mir da etwas überlegt. Ich denke … Bist du noch dran, Judy?«
    »Ja«, sagte sie.
    »Ich konnte dich nicht atmen hören oder sonst was. Judy, ich denke, wir wissen beide, daß unsere Beziehung seit einer ganzen Weile gar nicht gut läuft.«
    »Wissen wir das?«
    »Ja. Ich weiß es. Wir wissen es. Du bist ein wunderbarer Mensch, aber unsere Bedürfnisse gehen in verschiedene Richtungen, und daran wird sich nie etwas ändern. Es ist mir ernst, wenn ich sage, du bist ein wunderbarer Mensch, aber ich glaube nicht, daß es wirklich eine gemeinsame Zukunft für uns gibt; und im tiefsten Inneren ist uns das wohl beiden klar.«
    Judy hörte sich diesen Blödsinn an und dachte: Ich hätte ihn wirklich für origineller gehalten. Sie sagte nichts.
    »Was ich also sagen will … was ich meine, ist, daß ich denke, ich sollte ausziehen. Ich hole meine Sachen am Samstag oder vielleicht schicke ich jemand hin. Ich … Judy, bist du noch da?«
    »Ja.«
    »Das Ganze tut mir leid. Ich weiß, du hast dir etwas anderes erhofft, aber ich glaube, wir sind beide alt genug, um zu wissen, daß diese Dinge manchmal nicht …«
    »Bist du wieder bei Marcy?« unterbrach sie ihn.
    Am anderen Ende der Leitung zog Robert scharf die Luft ein. Judy sah ihn vor sich – mit weit aufgerissenen Augen, die Hand um den Hörer geklammert. Keine Ringe an den Fingern. Er trug nie Ringe. Die Nägel waren kurz geschnitten, gepflegt, quadratisch. Auch die Handflächen waren quadratisch. Mit harten Stellen darauf, die von der sonderbaren Art stammten, wie er seine Zeichenstifte hielt. Judy wußte, er würde ihre Frage beantworten; er war zwar ein Vollidiot bei Frauen, aber er war ehrlich. Das hatte Judy an ihm geliebt, ganz besonders nach Ben, der die Lügen ebenso leicht fallen ließ wie seine Hosen.
    »Ja«, sagte er sehr leise. »Ich bin bei Marcy. Judy, es tut mir so leid. Ich wollte nicht, daß das passiert.«
    »Ist schon in Ordnung.«
    Lange Pause. »Es ist in Ordnung?«
    »Ja«, sagte sie mit klarer Stimme. »Wenn du nicht genug Verstand besitzt, um zu wissen, was du an mir hast, dann verdienst du mich ohnehin nicht.«
    Er schwieg. Benommen, hoffte Judy. Nun, sie war jedenfalls benommen. Deshalb klang sie auch so ruhig:

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