Mount Dragon - Labor des Todes
sich verschluckte. »Mehr!« krächzte sie.
Eine Viertelstunde später hatte sie die ganzen vier Liter aus der Feldflasche in kleinen Schlucken getrunken. Carson nahm den Brocken alkalisches Salz aus seiner Tasche, lutschte eine Weile darauf herum und gab ihn dann an de Vaca weiter. »Hier, lutschen Sie das«, sagte er. »Das wird Ihnen den Durst nehmen.«
»Bin ich tot?« flüsterte sie.
»Nein. Ich habe die Quelle gefunden. Oder, besser gesagt, Roscoe hat sie gefunden. O/o del Aguila.« De Vaca, die noch immer den Salzbrocken im Mund hatte, setzte sich unter viel Mühe auf. »Puh. Ich sterbe immer noch vor Durst.«
»Sie haben jetzt genug Wasser im Magen. Was Sie brauchen, sind Elektrolyte.«
Während sie noch an dem Salz lutschte, fing sie auf einmal so laut zu schluchzen an, daß ihre Schultern bebten. Instinktiv nahm Carson sie in seine Arme.
»He«, sagte sie. »Sehen Sie mal, cabron. Meine Augen funktionieren ja wieder. Ich kann wieder weinen.« Während Carson sie in den Armen hielt, spürte er, wie ihm selbst die Tränen übers Gesicht liefen. Gemeinsam weinten sie aus Dankbarkeit für das Wunder, das ihnen das Leben gerettet hatte. Etwa eine Stunde später war de Vaca wieder soweit bei Kräften, daß sie aufstehen und sich bewegen konnte. Sie führten die Pferde zu der Höhle und ließen sie langsam an der Quelle trinken. Als sie genug Wasser hatten, brachte Carson sie nach draußen, wo sie grasen konnten. Auch wenn es unwahrscheinlich war, daß sich die Tiere allzuweit vom Wasser entfernen würden, band Carson ihnen die Vorderbeine zusammen, damit sie nicht in der Nacht verlorengingen.
Als er wieder in die dunkle Höhle zurückkam, lag de Vaca auf einem Streifen Sand neben der Quelle und schlief tief und fest. Carson setzte sich und spürte, wie sich ihm die Erschöpfung wie eine schwere Decke auf die Schultern legte. Er war zu müde, um die Höhle zu erkunden. Kaum hatte auch er sich auf den Sand gelegt, schien sich alles um ihn herum in ein wohliges Nichts aufzulösen.
Nye hatte die Lavaschlucht erreicht.
Er ließ den Strahl seiner Halogenlampe über die riesige, schwarze Wand gleiten, die neben ihm aufragte. Die Schlucht war etwa hundert Meter breit. Auf der einen Seite stieg das Fra-Cristobal-Gebirge aus dem Wüstenboden empor, eine riesige Geröllhalde aus zerbrochenen Blöcken und schroffen Felsen, das man zu Pferd nicht überwinden konnte. Die andere Seite der Schlucht begrenzte eine steile Felswand, die den abrupten Abbruch eines viele Kilometer breiten Feldes erstarrter Lava darstellte. Diese Lava war vor Urzeiten aus einem längst erloschenen Vulkan gequollen. Die Schlucht war für Nyes Zwecke noch besser geeignet, als er es sich vorgestellt hatte: der ideale Ort für einen Hinterhalt. Wenn Carson zu dem Außencamp der Ranch wollte, dann mußte er hier durch. Nye band Muerto in einem verborgenen Seitental die Vorderbeine zusammen und kletterte mit Taschenlampe, Gewehr, Wassersack und seinen Nahrungsmitteln hinauf in die Lava. Oben hatte das scharfkantige Gestein natürliche Zinnen gebildet, zwischen denen Nye den Lauf seines Gewehrs auflegen konnte.
Nye richtete sich auf längeres Warten ein. Er nahm einen Schluck Wasser und schnitt sich ein Stück Käse ab. Es war amerikanischer Cheddar, ein ziemlich scheußlich schmeckendes Zeug, das von der Hitze nicht gerade besser geworden war. Aber wenigstens war es etwas zu essen. Nye war sich ziemlich sicher, daß Carson und die Frau in den vergangenen dreißig Stunden nichts zu sich genommen hatten. Aber ohne Wasser würde der Hunger ihr geringstes Problem sein. Nye saß da und horchte in die Dunkelheit. Er hatte sich einen idealen Beobachtungsposten ausgesucht, ein richtiges Scharfschützennest etwa hundert Meter über dem Boden der Schlucht. Bei Tageslicht würde er Carson und die Frau auf drei, vielleicht sogar auf fünf Kilometer Entfernung aus dem Süden herankommen sehen. Er hatte freies Schußfeld nach vorne und sogar nach hinten, was wollte er mehr? Von hier oben konnte er in aller Ruhe zielen und schießen. Und wenn die 357er Nitro-Expreß-Kugeln auf einen menschlichen Körper trafen, zerfetzten sie ihn derart, daß sogar die Bussarde Schwierigkeiten haben würden, genug Fleisch für eine Mahlzeit zu finden. Natürlich war es auch möglich, daß Carson und die Frau bereits tot waren. Wenn das der Fall war, war Nye es gewesen, der sie aufgeschreckt und dazu gezwungen hatte, in der gnadenlosen Hitze des Tages weiterzureiten. Aber wie
Weitere Kostenlose Bücher