Mount Maroon
Bryson City gab es immerhin noch, auch die Straße, in der er wohnte, ja selbst das Haus. In seiner Wohnung lebte jedoch ein fremdes Pärchen. Das schlimmste war aber, dass keiner seiner Freunde ihn zu kennen schien. Wenn einige seiner Exfreundinnen nicht gut auf ihn zu sprechen waren, okay. Dafür hätte er in dem einen oder anderen Fall Verständnis gehabt. Aber seine Freunde? Selbst wenn es mal Streit gab, was wirklich nur sehr selten vorkam, hatte man die Sache nach kurzer Zeit bei einem Glas Bier aus der Welt geschafft. Frauen waren da anders und es war ihm bislang nicht gelungen, herauszubekommen warum. Nehmen wir Cindy. Mit ihr war er fast drei Jahre zusammen, dann hatte sie sich in einen anderen verliebt, sogar geheiratet, aber sie traf sich noch gelegentlich mit ihm, schließlich waren sie ja auch in derselben Bowlingclique. Sie redeten, gingen ins Kino oder zum Tanzen. Aber sobald er seinen Arm um sie legen wollte, wurde sie fuchsteufelswild. Als habe er wer weiß was vorgehabt. Dabei hatte er sich gar nichts dabei gedacht, wollte einfach nur nett sein. Jetzt würde sie ihn vermutlich auch nicht mehr kennen. Es war ein völlig neues Gefühl, inkognito durch die Straßen der eigenen Stadt zu laufen, einer Stadt, in der ihn zumindest vom Sehen fast jeder kannte. Irgendwie erwartete er, dass gleich alle anfangen würden, laut aufzulachen, ihm Willy oder Joey feste ins Kreuz schlugen und die Sache aufklärten. Aber nichts dergleichen passierte und das gefiel ihm ganz und gar nicht. Wenigstens gelang es ihm so, unerkannt einen Wagen zu mieten. Schon vor Einbruch der Dunkelheit war er auf dem Weg nach Maryland.
Im Telefonbuch fand er die Adresse von Peter Saunders. Er wohnte in einem dieser komischen neuen Viertel. Bartlett verstand nicht, was so toll daran war, in einer Fabrik zu wohnen. Ebenso könnte man in einen Knast ziehen. Aber das war ja nicht sein Problem. Er wollte wissen, was hier vor sich ging und er ahnte, dass es mit diesem Saunders zu tun hatte. Seitdem er aufgetaucht war, ging alles schlief. Bartlett hatte sich an einige Details erinnern können, brachte sie aber in keine schlüssige Reihenfolge und so blieb ihm nichts anderes übrig, als zu beobachten. Nebenher zog er Erkundigungen über Peter ein, sah sich nachts in seinem Verlag um und schlich sich, als Peter, Ellen und Irene in die Pizzeria an der Ecke gegangen waren, auch einmal in deren Wohnung. Hinweise fand er nicht, allerdings installierte er im Wohnzimmer eine Abhöranlage, die er in einem Laden für Hobbyelektroniker günstig erstanden hatte. Später im Auto ärgerte er sich darüber, das Telefon vergessen zu haben. Das hätte er verwanzen sollen. So musste er sich mit halben Telefonaten begnügen und das auch nur dann, wenn diese im Wohnzimmer geführt wurden.
Geldsorgen hatte Bartlett indes nicht. Er hatte sich bereits in Bryson City bei einem Pfandleiher 3.000 Dollar geliehen und dem Mann als Sicherheit das Auto des Rangers auf den Hof gestellt. Nach seiner Ankunft in Annapolis hatte Bartlett in einem kleinen Motel ein Zimmer gemietet. Hierhin zog er sich zurück, wenn im Hause Saunders die Lichter gelöscht wurden. Um sechs Uhr morgens bezog er dann wieder seinen Posten vor dem Haus. Nichts geschah. Bartlett war nahe daran, Saunders zur Rede zu stellen, als sich dieser eines Tages von seiner Frau zum Flughafen bringen ließ. Er bestieg das Flugzeug nach Cincinnati. Bartlett überlegte einen Moment, ob er mitfliegen sollte, entschied sich dann aber anders. Er fuhr zurück zur Wohnung der Saunders und zapfte das Telefon an. Saunders würde seiner Frau über seinen Aufenthalt Bericht erstatten und so würde John Bartlett die wichtigsten Dinge schon mitbekommen. Diese Hoffnung wurde nicht eingelöst. Stattdessen telefonierte Ellen Saunders nun fast täglich mit einer gewissen Polly und informierte sich über den Beerdigungstermin von Luther. Der Mann sollte in den nächsten Tagen in Raleigh beigesetzt werden. So langsam schloss sich also der Kreis. Bartlett war davon überzeugt, die Angelegenheit bald aufklären zu können. Während der Bestattung wollte er sich Peter zeigen.
37. DER ANDERE MANN
Er konnte sich nicht wirklich daran erinnern, wie er es sich vorgestellt hatte. Ja nicht einmal, ob er es sich überhaupt jemals vorgestellt hatte, so vorgestellt, wie es war, als sein Großvater noch allein darin lebte. Alan Mason kannte dieses Haus, in dem sein eigener Vater 1949 das Licht der Welt erblickte, nur in einem verfallenen
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