Mount Maroon
tun war. Er wollte das Baby retten und, wenn es dazu notwendig war, einen Menschen zu töten, dann musste es eben geschehen. Welch seltsame Wendung, wie absurd konnte das Leben sein?
Es war nur ein Handgriff, er würde keine Schmerzen haben. Vielleicht würde er sich kurz aufbäumen, dann aber zurücksinken und sterben. Für einen Moment glaubte Mason, Forma habe die Augen geöffnet, sähe ihn an. Aber das konnte nicht sein. Viel zu gleichmäßig hob und senkte sich der Brustkorb. Mason versuchte die Sache von der technischen Seite zu sehen. Eine Maschine hielt diesen Körper am Leben, die Pumpfunktion regelte den Kreislauf, die Lungenfunktion sorgte für Sauerstoff, die Filterfunktion verhinderte eine Mikroembolie. Es war bloß eine Maschine, die es abzuschalten galt. Der Mensch dort hatte bereits aufgehört eigenständig zu atmen. Aber es war immer noch ein Mensch und noch lebte er. Mason zögerte. War es wirklich seine Aufgabe, über Leben und Tod zu entscheiden, welches Recht nahm er sich heraus? Schließlich würde der Mann, der vor ihm lag und den er so gut kannte, das hier vermutlich überleben. Er war im besten Alter, hatte, wenn es gut lief, noch 30, 40 Jahre vor sich. Doch dann dachte Mason wieder an das Baby. Das Baby musste leben und deshalb musste Forma sterben. Er, Alan Mason, musste dafür sorgen, dass alles seinen Lauf nahm, denn er war der Einzige, der Bescheid wusste.
Am Abend fuhr er noch einmal zum Hospital. Ja, er hatte einen Menschen getötet, aber er hatte keine Schuldgefühle, denn das Baby hatte sich wie durch ein Wunder erholt. Es lag in seinem Bettchen, war sanft und auf seinen Lippen konnte man ein Lächeln erahnen. Mr. und Mrs. Townsend saßen davor wie Maria und Josef an der Krippe. Der alte Forma lag in einem Kühlfach im Keller. Niemand hatte Verdacht geschöpft, viel zu wahrscheinlich war das, was geschehen war. Als der Arzt von der Intensivstation Mason auf dem Gang sah, war vielmehr er es, der sich in einem vertretbaren Maße schuldig fühlte. Mason hatte den Alarm deaktiviert und die Maschine für eine Minute abgeschaltet. Das reichte. Dann setzte er sie wieder in Betrieb und ging.
40. DIE SUCHE NACH MR. DICK
Peter starrte auf den schwarzen Bildschirm wie in eine Welt, von der nichts übrig geblieben war. Alle Farben, Bewegungen, Ängste, Hoffnungen, einfach alles war verschwunden, obwohl in seinem Kopf geradezu bestürzende Nachbilder davon existierten. Als sie von ihrem Ausflug nach Hause gekommen waren, hatte er sich sofort an den Computer gesetzt, suchte im Internet nach Informationen. An die genaue Adresse auf Mr. Dicks Visitenkarte konnte er sich nicht mehr erinnern, wohl aber daran, dass er mit Krawatten handelte und in Rochester, Minnesota, wohnte. An diesem Punkt setzte Peter an. Den Namen Dick gab es in den Vereinigten Staaten wie Sand am Meer. Auch im Telefonbuch von Rochester gab es entsprechend viele Einträge, aber niemand schien etwas mit Krawatten zu tun zu haben, jedenfalls nicht über den üblichen Gebrauch hinaus. Im Branchenverzeichnis des Provinzstädtchens fand er in der entsprechenden Rubrik lediglich einen Eintrag, die Firma Crispert. Gegen halb zwei hatte Peter den Rechner ausgeschaltet. Als das leise Surren des Geräts abgeebbt war, umhüllte ihn die Stille der Nacht. Er trank den Rest seines Rotweins, war ratlos. Auch Ellen hatte die Geschichte mit dem Gemälde aufgewühlt und einen unruhigen Schlaf beschert. Sie hörte Peter ins Bett kommen.
- „Wie geht es dir?“
- „Ich habe ihn nicht gefunden.“
- „Weil es ihn nicht gibt?!“
Sie wusste, dass ihr Mann die zeitweise Verwirrung seines Geistes akzeptieren musste, als Folgen des Blitzschlages und des Schocks über den Tod seines Freundes. Das würde Zeit brauchen, aber es war wichtig, eine Lösung zu finden, die Peter mittragen konnte. So hatten sie es immer gemacht, es war ein Erfolgsrezept ihrer Ehe. Selten gaben sie sich mit einem Kompromiss zufrieden und niemals mit einseitigen Entscheidungen zu Lasten des Einen oder Anderen. Peter kam auf ihre Seite des Bettes, legte seinen Kopf an ihre Brust. Sie streichelte ihn sanft, wie man ein Kind streichelt. Ein Zauberland. So konnte er einschlafen. Ellen hingegen war hellwach. In der Dunkelheit des Schlafzimmers hatten sich ihre Pupillen geweitet, und mit ihnen die Gedanken. Sie starrte an die von der Straßenlaterne durch die Vorhänge matt beschienene Zimmerdecke.
- „Es ist mit diesem Mann wie mit dem Labor. Vermutlich hattest du vor
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