Mount Maroon
Vielleicht sollte er diesem Saunders einfach alles erzählen. Das würde seinem Gedächtnis wieder auf die Sprünge helfen. Doch der Ritter schwieg und somit war die Sache noch nicht entschieden. Sie sahen hinunter. Es ging von hier aus etwa 50 Meter bergab, nicht allzu steil, aber in holprigem Gelände.
- „Da unten blieb der Wagen in der Baumgruppe hängen. Gehen wir mal runter. Ich war seitdem auch noch nicht wieder hier.“
Für Peter war die Szenerie beklemmend. In seinem Kopf waren Bilder, die dem, was er sah, in gespenstischer Weise glichen, die sich aber in letzter Konsequenz damit nicht deckten. Es fehlten die räumlichen und zeitlichen Bezüge. Peter dachte an ein Déjà-vu, verwarf diesen Gedanken aber, weil diese Erklärung irgendwie hakte und ihn Marty auf diese Falle des Gehirns hingewiesen hatte. Lieber wollte er sich mit den Fakten auseinandersetzen. Der Mann, der jetzt vor ihm den Abhang hinunterlief, hatte sich als Alan Mason vorgestellt. Er hatte ihn heute Morgen aus dem Krankenhaus abgeholt und auf Anraten von Marty zur Unglücksstelle gebracht. Die Umgebung sollte Peter helfen, sich zu erinnern. Mason hatte ihn am Tag des Unfalls mitgenommen. Doch die Stelle, die Mason ihm zeigte und als jene auswies, an der er als Tramper neben seinem großen Rucksack gestanden haben soll, sagte Peter nicht das Geringste. Bereits nach wenigen Kilometern ereilte sie dann das Unglück. Der Unfallwagen war bereits abtransportiert worden, aber an den Bäumen sah man noch deutlich die Spuren des Aufpralls und des Brandes.
- „Ich war glücklicherweise unverletzt, aber Sie müssen gegen das Armaturenbrett geknallt sein. Jedenfalls waren Sie nicht mehr bei Bewusstsein. Und hier unten hatte der Wagen dann Feuer gefangen. Ich habe Sie herausgezogen, und über Handy die Ambulanz gerufen.“
Wieder kamen Mason Zweifel. Die Sache schmeckte ihm nicht. Diesem armen Teufel eine solche Räuberpistole aufzutischen, aber Dr. Jenkins und Marty waren der festen Überzeugung, dass genau das sein Erinnerungsvermögen wieder in Gang setzen würde. Dieser Saunders hatte in Trance von einem schweren Autounfall erzählt und nun galt es, die richtigen Knöpfe zu drücken, um die Rakete zu starten. Nur aus diesem Grund hatten sie den Unfall bis ins Detail konstruiert. Das entgegenkommende Auto, die abschüssige Straße, die Baumgruppe und der Brand. Doch Peters Gesicht sagte alles.
- „Der Wagen war Schrott?“
- „Ja, total ausgebrannt“
- „Welche Marke?“
Mason verstand die Frage, brauchte aber eine Idee zu lange für die Antwort. So etwas musste schneller kommen. Als Wissenschaftler kannte er den Unterschied zwischen Fragen, die eindeutig und damit schnell zu beantworten waren und jenen, die so viele Optionen offen ließen, dass eine längere Überlegung angemessen erschien. Saunders Frage gehörte eindeutig zur ersten Gruppe. Er musste ausweichen. Er ging zu der Stelle, an der der Wagen gegen die Bäume geprallt war, bückte sich, nahm ein Stöckchen in die Hand und warf es wieder weg.
- „Oh, entschuldigen Sie, aber ich dachte, da läge mein Kugelschreiber. Aber das wäre ja auch zu schön gewesen. Was sagten Sie?“
- „Ich fragte nach dem Wagen, der Farbe, der Marke. Ich versuche mich zu erinnern.“
Die Frage war keineswegs beiläufig und völlig unerheblich, es war keine Frage, die einer stellt, der nichts zu sagen hat oder eine Pause in der Kommunikation nicht aushält. Es war eine gezielte Frage. Der Mann hatte keinerlei Erinnerung an das hier und fahndete in seinem Gehirn nach Bildern.
- „Ein roter Pontiac, Baujahr 2004.“
Jetzt kam die Antwort eine Nuance zu rasch. Und wieder ärgerte sich Mason innerlich.
- „Und der da.“
Peter nickte in Richtung Straße, wo sie den grauen Volvo abgestellt hatten.
- „Ein Leihwagen?“
- „Ah, ja, ja, ein Leihwagen. Ich hatte noch keine Zeit, einen neuen zu besorgen. Kommen Sie, gehen wir einen Kaffee trinken.“
- „Moment!“, Peter hob die Hand. „Ich erinnere mich …“
- „Was?“, Mason erschauderte leicht, fing sich aber wieder.
- „Wie meinen Sie das? Das entgegenkommende Auto?“
- „Nein, an einen anderen Unfall, den ich als Kind hatte. Der ist fast identisch abgelaufen.“
Es trat eine Pause ein, in der es ihnen nicht möglich war, weiter miteinander zu sprechen. Es lag eine Distanz zwischen ihnen, eine Distanz von genau 34 Jahren und ein paar 100 Kilometern. Während Mason im Hier und Jetzt stand und zu Peter herübersah, war dieser
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