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Mount Maroon

Mount Maroon

Titel: Mount Maroon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ethan Bayce
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für einige, lange Sekunden der Welt entrückt. Seine Gedanken waren weit in die Vergangenheit gereist.
    - „Mr. Mason, haben Sie etwas Zeit? Würden Sie bitte mit mir nach Illinois fahren?“
    Mason war verblüfft. Hatte es also doch geklappt, genau wie die Psycho-Fuzzis es vorhergesagt hatten. Auch der Ritter war zufrieden.
    Vermutlich gibt es keine bessere Gelegenheit für zwei Männer, sich näher kennen zu lernen als auf einer langen Autofahrt. Die Gemächlichkeit der Fortbewegung, der Blick voraus auf die Straße, eine Ebene oder einen Bergrücken, verleiht ein Gefühl der Unverbindlichkeit, das dem Konkreten seine Enge nimmt. Hier können Dinge ausgesprochen werden, ohne sie für immer festzulegen. Wie der Reisende seiner Bahn folgt, kann der Gedanke sich entwickeln, kann reifen. Er ändert seine Struktur entlang des Weges, wie der Weg die Erwartungen an das Ziel verändert. Das Gesagte erhält damit zugleich Raum und Zeit, es kristallisiert nicht, bricht nicht und fixiert sich nicht im Alltäglichen.
    - „Und danach hat Ihre Tante Sie aufgezogen?“
    - „Das ist das, woran ich mich erinnere, aber nachdem meine Familie nicht existiert … Marty sagte, dass möglicherweise nur Teile einer Erinnerung falsch sind und andere richtig. Ich hoffe, es stimmt wenigstens der Rest. Zumindest habe ich keine neurodegenerative Erkrankung …“
    - „Keine was?“
    - „Ja, man beschäftigt sich immer erst mit so etwas, wenn es zu spät ist und dann vergisst man es auch gleich wieder. Ich meine Alzheimer oder sonstige Demenzerkrankungen oder Hirnschädigungen. Also die Tests sind alle positiv ausgefallen. Keinerlei Auffälligkeiten: ein symmetrisches Verteilungsmuster des Glukose-Isotops und auch keine Anzeichen für Zellschwund, weder in den Furchen noch in den Windungen meines Gehirns.“
    - „Peter, Sie sind ein Angeber.“
    Beide lachten. Masons Spott zielte auf Peters untadelige Verwendung des Fachvokabulars, wenngleich er wusste, dass sich medizinische Kenntnisse bei allen von einer schweren Krankheit Betroffenen sehr rasch einstellen, wenn auch zumeist nur oberflächlich.
    - „Und ich sage Ihnen noch etwas. Meine Ventrikel, also die kleinen, mit Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit gefüllten Hohlräume, weisen genau die richtige Größe auf.“
    - „Nein!“
    - „Doch!“
    Jetzt konnten sie sich vor Lachen kaum halten.
    - „Halten wir fest: Ihre Hardware funktioniert also.“
    Mason ist ein durch und durch technischer Mensch und dabei keineswegs unsympathisch, dachte Peter. Aber was er da eben im Spaß sagte, war sehr bedrohlich: die Hardware funktionierte. Das beinhaltete doch, dass das Problem in der Software lag. Wurde hier die alte Grenze zwischen Körper und Geist neu definiert? Und, wenn beides nicht zusammenpassen wollte, welcher Bereich war realer, welchem Wesensbestandteil war zu trauen und welchem nicht? Konnte es so sein, dass der Geist es war, der die wahre Geschichte erzählte und der Körper log? Peter brach den Gedanken ab. Er kam hier nicht weiter und Mason hatte auch wieder zu sprechen begonnen.
    - „Was stimmt schon im Leben? Vermutlich doch immer nur das, woran wir uns erinnern können, unsere ganz eigene Wahrheit …“
    - „Vermutlich, aber wenn genau
die
in Zweifel gezogen wird? Wenn man plötzlich einsehen muss, dass die Dinge, die man für die unumstößliche Realität hielt, nachweislich falsch sind? Es ist, als blicke man in einen Spiegel und jemand anderer blickt daraus zurück, als habe man den Bezug zu sich selbst verloren.“
    - „Haben Sie schon einmal daran gedacht, dass die Vergangenheit vielleicht gar nicht in der Weise existiert, wie wir glauben? Ich meine, vielleicht erfinden wir die Vergangenheit immerzu neu und verändern sie dadurch sogar.“
    - „Das ist bizarr. Aber wie soll das gehen?“
    - „Oh, die Methode wird seit Jahrhunderten praktiziert. Einerseits auf der politischen Ebene und zum anderen durch die Geschichtsforschung. Die einen beugen die Fakten, um ihre jeweiligen Positionen und Handlungen zu legitimieren und die anderen sind auf der Suche nach der Wahrheit, nach dem, wie es wirklich war, unter Anwendung größtmöglicher Objektivität, so ist zumindest der idealistische Anspruch. Aber tatsächlich verändert jede neue Erkenntnis die Vergangenheit selbst.“
    Jetzt war der Historiker gefragt.
    - „Die Erkenntnis verändert die Vergangenheit nicht. Sie verändert doch lediglich unsere gegenwärtige Einschätzung in Bezug auf vergangene Dinge, auch

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