Mount Maroon
hinsichtlich der Quellen.“
- „Das ist natürlich korrekt, aber was ist die Vergangenheit!? Ich meine im Vergleich zur damaligen Gegenwart. Diese Gegenwart bleibt unverändert, sie ist aber zum Zeitpunkt ihres Ablaufs noch keine Vergangenheit. Zur Vergangenheit wird sie erst danach und dann wird sie auch variierbar. Wenn es Unklarheiten über die damalige Gegenwart gibt, wie in der Geschichtsforschung nicht gerade selten, könnte man sogar von einer Koexistenz unterschiedlicher Vergangenheiten sprechen.“
- „Demnach gibt es viele Vergangenheiten. So habe ich das noch gar nicht betrachtet.“
- „Genau, es gibt viele Vergangenheiten, aber nur eine Zukunft.“
Die Männer schauten sich kurz an und lachten. Es ging nicht mehr um Ernsthaftigkeit.
- „Da dachten die Menschen seit Jahrhunderten, vielleicht seit Jahrtausenden, die Vergangenheit sei unveränderbar und die Zukunft sei offen und dabei ist es genau umgekehrt.“
Nun waren sie fast albern.
- „Für welche Variante Ihrer persönlichen Vergangenheit haben Sie sich entschieden, Mr. Mason?“
- „Meine Familie kommt ursprünglich aus Virginia, allerdings haben sich meine Hoffnungen zerschlagen, wir könnten von George Mason, der führenden Persönlichkeit der Unabhängigkeitsbewegung, abstammen.“
- „Seien Sie froh, sein Enkel James Murray war maßgeblich an der Trent-Affäre beteiligt, die im amerikanischen Bürgerkrieg beinahe zum Kriegseintritt Großbritanniens auf Seiten der Konföderierten geführt hätte.“
- „Ja, aber George habe ich für sein Engagement für Demokratie und Menschenrechte immer bewundert.“
Peter wollte ihm seinen Glauben lassen, wenngleich er wusste, dass das ehrenwerte Mitglied des Nationalkonvents selbst Sklaven hielt und die Abschaffung des Sklavenhandels eher aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus gefordert hatte. Aber so ist es eben. Egal, was Amerika auch anstellt, alles wird als Fortschritt der Menschheit bewertet. Auch Mason ging nicht weiter auf den ruhmreichen Namensvetter ein. Stattdessen erzählte er von seiner Arbeit als Physiker, vermied jedoch den Mount Maroon zu erwähnen. Er verlegte den Standort des Labors, wie Shane und Jenkins es ihm geraten hatten, nach Cincinnati. Alles andere war jedoch kein Geheimnis.
- „Mein Großvater arbeitete auch schon dort. Er hatte das Forschungslabor damals mit aufgebaut. Ich wohnte bei ihm und nach der Schule ging ich zu ihm ins Labor. Er hat mir alles gezeigt und schon sehr früh die komplizierten Vorgänge erklärt. Er lebte nur für seine Forschung und die Begeisterung hat er, wenn nicht genetisch, dann auf jeden Fall sozial vererbt.“
- „Und Ihre Eltern?“
- „Ja, meine Eltern. Erziehung war nicht gerade ihre Stärke, weder bei sich selbst noch bei mir. Ich denke, sie waren wohl einfach zu jung für den Job. Meine Mutter habe ich nie kennengelernt, weiß nicht einmal, wie sie heißt. Mein Vater kannte sie vermutlich auch nur flüchtig, so wie all die anderen Mädchen, mit denen er damals zusammen war. Sie tranken, rauchten einen Joint und gingen miteinander ins Bett. Manchmal frühstückten sie noch zusammen und das war’s. Jedenfalls tauchte irgendwann kurz nach meiner Geburt eine junge Frau bei meinem Großvater auf und behauptete, ich sei sein Enkel. Sie legte mich in eine Decke gewickelt auf den Küchentisch und verschwand. Einfach so, auf Nimmerwiedersehen.“
- „Das muss hart gewesen sein. Ohne Mutter aufzuwachsen.“
- „Na ja, ich kannte es nie anders. Vermutlich war es das Beste, was sie machen konnte. Sie hätte mich abtreiben können, aber dabei hätte sie damals ihr Leben riskiert. So wusste ich lange Zeit gar nicht, wie das ist, richtige Eltern zu haben. Emotional habe ich das nie erlebt. Mein Großvater übernahm alle elterlichen Pflichten. Er lebte zu der Zeit schon allein, nachdem Großmutter an Krebs gestorben war.“
- „Ihr Vater hatte nichts dagegen?“
- „Mein Vater war bei meiner Geburt 17 Jahre alt und ich war bei seinem Tod sechs. In den Jahren, die wir gleichzeitig auf diesem Planeten verbrachten, haben wir uns schätzungsweise vier-, fünfmal pro Jahr gesehen. Immer wenn mein Vater sich Geld von meinen Großvater leihen wollte. In seinem Leben war kein Platz für ein Kind.“
- „Woran ist er gestorben?“
- „Woran … ja woran sterben Menschen wie er? Er nahm Drogen und einmal war die Dosis wohl zu hoch. Es war besonders tragisch, weil ich dachte, er würde sich ändern. Die letzten sechs Wochen vor seinem
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