Mozart - Sein Leben und Schaffen
Betonung der eigenen Persönlichkeit, durch unverkennbare Zurückhaltung und Beiseitestellen zu sichern strebt; wie er nachher vom Melodrama gepackt wird – das alles sind Zeichen dafür, daß ihn diese Fragen aufs heftigste bewegt haben. Das alles in einem Alter, das gerade für derartige Probleme recht empfänglich zu sein pflegt und sie leidenschaftlich vertritt. Aus der Tatsache, daß in seinen Briefen so wenig von allem steht, darf man keinesfalls den Schluß ziehen, daß ihn alles das wenig berührt habe; wohl aber wirkt die Tatsache beredt, daß der Vater in seinen Briefen auf die von Wolfgang »angeschnittenen« Themata nie eingeht. Dagegen möchte man aus der Tatsache, daß man in München gerade in dieser Zeit an Wolfgang als Schöpfer einer großen heroischen Oper dachte, schließen, daß in diesen Münchener Musikerkreisen die – doch jedenfalls aus dem mündlichen Verkehr – gewonnene Überzeugung bestand, Wolfgang würde die verschiedenen Richtungen auszunutzen, die Gegensätze auszugleichen wissen. Denn daß in diesen Musikerkreisen alle diese Fragen lebhaft erwogen wurden, unterliegt doch gar keinem Zweifel, zumal in Mannheim eine recht reformerische Kunstluft geweht hatte und man sich dort einer führenden Stellung nach der »Moderne« der Musik hin vollauf bewußt gewesen war.
Wolfgangs Heimat dagegen war von allen derartigen Strömungen frei. Dieses Salzburger Land war tatsächlich eine Provinz der italienischen Musik, wenigstens soweit Gesang in Betracht kam.An eine Auflehnung wider diese Herrschaft der italienischen Musik dachte hier keiner. Dagegen mochte es als ein besonderer Vorteil erscheinen, wenn man ihr von anders woher neue Kräfte zuführen konnte. Mozarts ursprüngliche Kunsterziehung und seitherige Entwicklung mußte diese Auffassung, daß eine Vermehrung der musikalischen Mittel die natürlichste Bereicherung auch der Oper sei, begünstigen.
Ich habe auf den Eingangsseiten dieses Buches ausgeführt, wie gerade infolge der außerordentlichen Frühreife Wolfgangs von ihm eigentlich der gesamte, damals lebendige musikalische Formbesitz in einem Alter aufgenommen wurde, das jede kritische Einstellung ausschloß. Er empfing einfach; er nahm alles auf, was ihm begegnete. Und irgendwie oder irgendwo wertvoll, lebensfähig und lebensberechtigt ist alles, was lebt, auch in der Welt der Kunst. Auch die später vollkommen erstarrte, ganz schulmäßige Form, auch alles, was in der Musik als geradezu mathematische Linienführung oder als rein technisches Figurenspiel erscheint, war einmal Ausdruck, war einmal als die Weise erschienen, wie ein gewisses Empfinden musikalisch am besten auszudrücken sei. Es gehört zum wunderbarsten in der Natur Mozarts, wie rasch, wie kampflos ihm alles Musikalische, dem er begegnete, zu eigen wurde. Das alles, wie gesagt, in einer Zeit, als er über die ästhetische Berechtigung solcher Formen, über ihre innere seelische und geistige Bedeutung nachzudenken gar nicht in der Lage gewesen wäre. So übernahm er sie kampflos, und da sie alle an sich betrachtet echt musikalische Äußerungen sind, konnten sie für seine urmusikalische Natur keine Widersprüche in sich tragen noch erzeugen. Vielmehr verwuchs das alles in ihm zu einer ihm allein gehörigen Einheit, aus der heraus er es dann nach Belieben verwendete: d.h. eben dort, wo es ihm das Natürlichste zu sein schien.
Das alles ist in dieser Form nur bei einem Musiker möglich gewesen. Es gibt bekanntlich nur auf dem Gebiete der Musik (und bezeichnenderweise noch der Mathematik) Wunderkinder, vor allen Dingen schöpferisch tätige Wunderkinder. Bei der Musik ist alles anders als bei den anderen Künsten. Die Reproduktion ist hierin einem Maße Vorbedingung zum Erleben, ja zum Leben der Musik, daß sich dazu bei anderen Künsten gar keine Parallele findet. Ohne daß sie erklingt, also reproduzirt wird, ist Musik als lebendiger Wert nicht vorhanden. Das Bildwerk, das Gebäude, sie alle stehen unverändert da, sind von jedem zu genießen, der an ihnen vorübergeht, der Augen hat. Die Dichtung ist so sehr mit den Kräften des Erkennens verbunden, dadurch daß ihr Material die Sprache, die Verdichtung unserer Erkenntnisse und Kenntnisse ist, daß auch ihr Gehalt, ihre Form ein für allemal feststeht. Nur die Musik bekommt das, was sie in die sinnliche Welt hineinbringt, erst durch den jeweils neu entstehenden Klang. Die Bedeutung der Reproduktion verleiht dieser etwas dem echt Schöpferischen Verwandtes, und es
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