Mr. Chartwell - Hunt, R: Mr. Chartwell
Schnauben. »Schhh!« Eine entschiedene Forderung.
»Die ganze Nacht über?«
»Könnten Sie vielleicht leise sein? Ich versuche zu schlafen.«
Ihr Leisesein geriet ihr zu einem dröhnenden Flüstern. »Entschuldigung.«
Es kam keine Antwort. Ein unbehaglicher Frieden stellte sich ein, als beide schweigend dalagen. Esther empfand dieselbe Peinlichkeit wie in Situationen, wo man in einem Zimmer mit Bekannten einzuschlafen versucht, diese Scham, die sich leise meldet, wenn Erwachsene im Schlafanzug miteinander reden und dann sehr bewusst nicht mehr reden und stumm in der Dunkelheit liegen.
Sie hielt es nicht mehr aus, drehte sich auf einen Ellbogen und drosch auf das Kissen ein. Ihre schlagende Faust hieb eine Furche. Ein paar Minuten tröpfelten dahin. Von unten drang das Geräusch eines Hundes herauf, der sich mit rauer Zunge das Vorderbein leckt. Black Pat brummte leise vor sich hin, während er sich dem Bein widmete. Er gurgelte hinter der geschäftigen Zunge, und es klang sagenhaft scheußlich.
Esther lag im Bett und lauschte. Das abstoßende Brummen ging weiter. Sie war ein wenig beruhigt. Die überaus zaghafte Beruhigung verfestigte sich zu einem schwachen Vertrauen. Sie wagte es, immer mal wieder die Augen zu schließen, bis die Augen sich gestatteten, geschlossen zu bleiben.
» … Gott .« Black Pat hatte aufgehört, die Stelle am Bein war vergessen. »Hallo da oben, ich kann Sie schnarchen hören.« Dem musste er noch hinzufügen: »Hört sich an wie Schweine, die Traktor fahren.«
Esthers riss die Augen auf, und jetzt blieben sie auf. Mit einem strohhalmweit geöffneten Mund saugte sie Luft ein und versuchte, keinen Mucks von sich zu geben.
Black Pat kicherte vor sich hin und wälzte sich herum wie ein Pferd, indem er mit einem Halsschwung den Oberkörper hochriss und auf die andere Seite kippte. Mit einem bluesigen Knurren entspannte er sich, und im Einschlafen klappte sein Ohr zurück, so dass man das schinkenrosige Innere sah.
Donnerstag, 23. Juli 1964
15
7 Uhr 30
E sther spähte über das Geländer. Als sie Black Pat nirgends erblickte, stellte sie sich auf die Zehenspitzen und lehnte sich mit dem Bauch weit darüber. Mit einem Mal sah sie das Geländer unter sich zusammenbrechen, sah sich tot auf ihrer eigenen Treppe liegen, und sie stürzte ins Bad. Sie schloss die Tür ab und machte sich an die morgendliche Gesichtsanalyse. Das Spiegelschränkchen über dem grünen Waschbecken zeigte ein sorgenvoll verkniffenes Gesicht mit einem dunklen Migränepunkt in der Mitte. Esther stellte sich Ohrringe vor (sie hatte noch nie welche getragen) und fragte sich, ob die eine Verbesserung brächten. Probeweise grinste sie in den Spiegel und drehte den Hals in verschiedene Winkel.
Das Grinsen erstarb in einem Stirnrunzeln. Etwas lag auf der Kante des Waschbeckens, ein Stock, umwickelt mit einem ihrer Geschirrtücher. Der vom Tuch befreite Stock erwies sich als ein Holzlöffel, ebenfalls aus ihrem Besitz. Esther blickte zur Tür. Das Bad war plötzlich von den mysteriösen und ekligen Gewohnheiten Black Pats infiziert.
Ein Ohr an die Tür gelegt, hörte sie Stille. Schlief er vielleicht noch?DasnächsteProblemergabsich.WennihreSachenimSchlafzimmer lagen, musste sie hinterher einen Sprint im Badetuch riskieren. Lieber gleich die Sachen holen, dachte Esther. Ja, die Sachen holen und die ganze Morgentoilette hier drin machen.
Sekunden später kam sie mit den Kleidern überm Arm zurück: senffarbene Strickjacke und ein kaleidoskopisch gemustertes beigeblaues Tageskleid. Züchtig zusammengeknüllt in der Faust eine Unterhose. Am Waschbecken drehte sich Black Pat zu ihr um. Mit einem gedämpften Plumps fiel alles zu Boden. Er hob die Pfote zum fröhlichen Gruß. Esther rang stumm um die richtige Antwort.
Ein Stück Spiegel war freigewischt worden. Der Holzlöffel war wieder mit dem Geschirrtuch umwickelt. Black Pat scheuerte seine Zähne damit und schob ihn in den Abgründen seines Mauls hin und her. Mit praller Backe sagte er irgendetwas Unverständliches.
»Was?« Esther kratzte ihre Sachen zusammen.
Noch einmal gab er eine Vokalfolge von sich und schwang zur Erklärung die Pfote zwischen Waschbecken und Wanne. Dann lachte er mit dem Geschirrtuch im Maul, und Speichel sprühte über die Kacheln.
»Das ist mein Geschirrtuch, das wissen Sie hoffentlich.« Esthers Kleider bildeten einen Haufen um die beschämende Unterhose. »Und das ist mein Löffel.« Missbilligend fügte sie hinzu: »Ich koche mit
Weitere Kostenlose Bücher