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Mr. Chartwell - Hunt, R: Mr. Chartwell

Mr. Chartwell - Hunt, R: Mr. Chartwell

Titel: Mr. Chartwell - Hunt, R: Mr. Chartwell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Hunt
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baumelnd. Sein dicker behaarter Schwanz würde genau in der Bahn der Tür liegen müssen.
    Dort auf dem Schreibtisch stand Black Pats Karton. Die Vorhänge waren nicht zugezogen. Ihr verschwommenes Spiegelbild huschte über die schwarze Scheibe. Der Karton war mit Klebeband verschlossen. Sie zog es ab, bog den Deckel hoch.
    Black Pats Habseligkeiten waren skurril: ein brauner Fellklumpen, eine Seite blutverkrustet; ein moderndes Holzscheit; der Huf eines großes Hirsches; ein Schenkelknochen, vielleicht von demselben Hirsch, vielleicht auch nicht, der Hüftkopf seifenglatt geleckt; ein Tennisball mit fast völlig abgescheuerter Filzschicht; zwei Steine. Der Drahtpapierkorb vor Michaels Schreibtisch war übel zugerichtet und am Rand von großen Fängen umgebogen worden.
    Esther zog sich den Stuhl heran und setzte sich. Sie musste ihre Gedanken ordnen. Sie ließ sich nicht vom harten Polster oder den Knautschwülsten des Morgenmantels ablenken. Bilder stiegen in ihr auf: Es war nach Mitternacht und dieses Zimmer das letzte im Haus, das noch gemacht werden musste und erst halb gestrichen war, Michael in Shorts und in Ungnade, weil er vor lauter Übermut auf seine Wand nur ein Strichmännchen malte. Es war ihr gemeinsames Spiel gewesen, und sie hatte über ihn gelacht.
    Esther strich mit den Händen über die Tischplatte, spürte die Maserung. Eine Art Blindenschrift, die von Michael erzählte. Verschiedene Erinnerungen: Michael in diesem Zimmer am Schreibtisch, lange Stunden in diesem Zimmer mit geschlossener Tür.
    Sie nahm einen angekauten Bleistift aus einem Tontopf, sinnierte über die Abdrücke von Michaels Zähnen. Die Bleistiftbetrachtung führte zur zufälligen Inspektion des Teppichs an einer Seite des Schreibtischs, der Fläche zwischen Tisch und Fenster.
    Auf eine Stuhllehne gestützt, besah sich Esther die Sache verwundert. Überall sonst war der Teppich noch gut, nur an dieser großen Stelle war das Gewebe abgescheuert und fusselig. Sie streckte prüfend einen Fuß aus und rubbelte die zertretenen Fasern mit der Sohle. Nicht besonders interessant. Sie setzte sich gerade hin. Ihr Blick fiel auf den blassen Umriss des fehlenden Fotos und den nackten Nagel.
    Während sie darauf starrte, fiel ihr ein, wo das Foto war. Sie wollte es sehen.
    Sie öffnete die oberste Schreibtischschublade rechts. Die Schublade kam geräuschlos heraus, und auf einem Papierhaufen glitt das Foto ins Licht. Sie putzte das Glas mit einem Flanellellbogen, obwohl es schon sauber war.
    Es war ein Foto von ihrem Hochzeitstag.
    Esthers schwarzweißer offener Mund lachte nach oben den fallenden Konfetti entgegen. Michael, einen Arm um ihre Taille gelegt, bückte sich, um ins Auto einzusteigen, den Kopf zurückgewandt und einem Rufer in der Menge zugrinsend. Die offen stehende Autotür zeigte einen Streifen des Rücksitzes, wo ein Blumenstrauß eine quer in der Trennfalte liegende Flasche Champagner bedeckte. Ein Teil der Kirche hinter ihnen wie auch Grabsteine auf dem Friedhof und Rosenbeete spiegelten sich in verschiedenen Winkeln in den Autofenstern. Platten und Stufen vor der Kirche waren mit Konfetti bestreut, an den Stößen der Treppe zu Wehen gehäuft. Um Esther und Michael herum waren die Hochzeitsgäste in Ausschnitten eingefangen, hier ein ausgestreckter Arm, dort eine schüttere Schädelpartie. Das Baby auf dem Arm einer kopflosen Frau machte diese als Beth kenntlich; da war Little Oliver mit dem weißen Mützchen erst wenige Wochen alt. Der neben ihr stehende unscharfe Mann, dessen trichterförmig an den Mund gelegte Hände das jubelnde Gesicht fast ganz verdeckten, musste daher Big Oliver sein. Eine frische Frühlingsbö wehte die kurzen Haare einer Tante nach vorn. Im Klatschen getroffene Lederhandschuhe verbargen Kinn und Wangen einer Frau. Und auf den blank geputzten Schuh am Bein eines Unbekannten fiel ein Sonnenstrahl vom milchigen, kalten Himmel.
    Esther drückte ein Knie an die Schreibtischkante und schaukelte auf den Hinterbeinen des Stuhls. Rhythmisches Knarren ertönte. Der Rhythmus stockte kurz, als Esther nach dem Eierbecher griff und mit einem großen Schluck den Sherry austrank. Dann stand sie auf und hängte das Foto an seinen Nagel. Das blasse Viereck war wieder bedeckt. Warum, fragte sich Esther, während sie es dort musterte, warum hatte Michael es abgehängt? Was hatte ihn daran gestört? Und warum hatte sie ihn das nie gefragt? Es war ihr unerklärlich.

13
    2 Uhr 10
    A uf Churchills Beinen lastete ein

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