Mr Monster
vorgeht.«
»Du kommst hier sowieso nicht raus«, beharrte die Frau.
Formans Haus war ein schäbiges Spiegelbild meiner dunkelsten Träume. Überall die Anzeichen von Gefangenschaft, Folter und Tod. Blutflecken an den Wänden, in einer Ecke war eine lange, schwere Kette befestigt, Kratzer und Schnitte auf allen Oberflächen. Quer über den Fußboden verlief eine Spur von getrocknetem braunem Blut bis unter die Tür der Speisekammer. In einem Topf auf dem Herd schwamm etwas Dunkles und Zähes, und er war voller formloser Stücke, die irgendwie nach Fleisch rochen. Das Küchenfenster war vergittert. Im Flur hinter der Küche hörte ich abgerissene, mühsame Atemzüge, und irgendwo unter mir, im Keller, summten die verzweifelten Stimmen von Formans Spielsachen.
»John«, rief die Frau, »bitte, hör mir zu! Wenn du glaubst, du könntest fliehen, machst du es nur noch schlimmer, denn es wird dir nicht gelingen. Du musst mir glauben. Ich sage dir dies zu deinem eigenen …«
»Ich bin schon draußen«, antwortete ich. »Wie komme ich in den Keller?«
Schweigen. Ich verließ die triste Küche, folgte den Atemzügen und drang tiefer in das Haus ein.
»Hallo?«, rief ich. »Hört mich jemand?«
Im Keller schrie eine andere Frau auf. »Hilf uns!«
»Ruhig!«, antwortete die erste Frau. Es klang jetzt viel näher. »Was meinst du damit, dass du draußen bist?«
»Ich habe die Schranktür aufgebrochen und bin draußen. Nun sagen Sie mir, wie ich Sie finde.«
»Wir sind im Keller!«, rief die zweite Frau. »Das ist die Tür in der Küche.«
»Tut euch das nicht an!«, rief die erste Frau. »Ich will hier ebenso herauskommen wie ihr, aber wir dürfen uns nicht selbst eine solche Enttäuschung einbrocken. Ich halte das nicht mehr aus.«
Ich kehrte in die Küche zurück. Dort gab es nur eine Tür, die ich für den Zugang zur Speisekammer gehalten hatte. Ich packte den Griff, die Tür krachte im Rahmen, doch sie war abgeschlossen. Wieder rüttelte ich. Auf der anderen Seite hörte ich ein leises Geräusch, fast zu leise, um es wahrzunehmen. Ich legte das Ohr an die Tür.
Jemand schluchzte. »Bitte, bitte, bitte, bitte …«
Ich zog mich etwas zurück und zerrte weiter an der Tür. »Hat er den Schlüssel bei sich?«
»Woher soll ich das wissen?«, rief die Frau, offenbar sehr aufgebracht.
»Na gut«, sagte ich. »Nur die Ruhe, ich sehe mich um.«
»Beeil dich!«, rief die zweite Frau.
Ich kehrte in den Flur zurück und sah mich im hinteren Teil des Hauses um, wobei ich wieder den gequälten Atemzügen folgte. Sie führten mich zu einer geschlossenen Tür, die jedoch nicht versperrt war. Ich öffnete sie vorsichtig und rechnete schon mit einer Falle, doch nichts geschah. Es war ein kleines Schlafzimmer mit einer leeren, unbezogenen Matratze in einer Ecke auf dem Boden. Die Blumentapete war verblichen und zerkratzt. Ich öffnete die Tür etwas weiter, trat ein und keuchte auf.
Stephanie hing an der Wand, die Handgelenke waren mit dicken Stricken gefesselt, die zu zwei gezackten Löchern in der Decke hinaufliefen. Sie zogen ihr die Arme seitlich hoch, gerade weit genug, damit sie nicht knien konnte. So hing sie bewusstlos an der Wand, als hätte jemand sie gekreuzigt. Die Kleidung vom Vortag war noch da – die Bluse und der Rock, mit denen sie zur Arbeit gekommen war –, doch sie war von Schweiß und Blut beschmutzt, und unter ihren Füßen war das Blut in den Teppich gesickert und ergänzte eine ältere, viel größere Blutlache. Stephanie war nicht das erste Opfer, das hier gelitten hatte. Ihr Kopf hing leblos nach vorn, das schmutzige blonde Haar war nur noch eine klebrige Masse und verdeckte das Gesicht und den Oberkörper. Es roch nach altem Rauch und verbrannter Haut.
Ehrfürchtig staunend trat ich ganz ein. Es war eine schreckliche, widerwärtige und schöne Szene. Hier, in diesem einen Raum, hatte vieles, was mein Leben ausmachte, eine feste Form angenommen. Alle jene Träume, die mich um den Schlaf gebracht hatten, weil ich sie vermeiden wollte, alle meine dunkelsten Phantasien darüber, was ich den Menschen antun wollte. Wie oft hatte ich mir schon genau diese Szene mit meiner Mutter vorgestellt, damit sie endlich lernte, mich nicht immer zu gängeln. Wie oft hatte ich im Geist Brooke hier vorgefunden, die sich danach sehnte, dass ich sie rettete, und bereit war, alles zu tun, um meine Gunst zu gewinnen. Das ganze Leben lang hatte ich mich bemüht – ich hatte die Regeln aufgestellt und meine
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