Mr Nanny
Artikel zur Sendung auf Seite zwölf, Inlandsnachrichten. Die Schlagzeile lautete: »Großer nationaler Nachrichtensender bestätigt Gerüchte über eine außereheliche Affäre des Kongressabgeordneten Hugh Hartley«. Ich wollte unbedingt wissen, wie sie das heikle Thema Sex abgehandelt hatten. Da kam’s, neunter Absatz: »Wiederholt auf sexuelle Einzelheiten angesprochen gab Ms. Boudreaux zu, es habe sich um eine ›besondere Art von Geschlechtsverkehr‹ gehandelt. Sie meinte weiterhin, Analverkehr sei der bevorzugte Geschlechtsakt gewesen.« Die New York Post wartete mit folgender Schlagzeile auf: »Hintertürchenromanze für Huey«. Die Daily News ging mit dieser Schlagzeile auf Leserfang: »Hartley sagt: Ich nehme Tür Nummer zwei!« Die Comedians des Landes würden jahrelang ihren Spaß an der Geschichte haben.
Mein Handy klingelte. Charles.
»Wo bist du?«
»Atlanta. Warte auf meinen Anschlussflug nach New York. Ich werde gegen Mittag im Büro sein.«
»Gut.«
Stille. Dann fragte er leise: »Wie geht’s dir?«
Ich holte tief Luft. »Ganz gut. Den Umständen entsprechend.«
»Ja?«
»Klar, ich bin erledigt, müde, kaputt. Aber guten Mutes. Ich glaube, wir haben alles getan, was wir konnten.Vielleicht waren wir beide ja zu streng mit uns selbst. Vielleicht...«
»Vielleicht hätten wir darauf bestehen sollen, dass die Ausstrahlung gekippt wird.«
»Charles, sag so was nicht! Das kann ich nicht ertragen.«
»Es ist nur so... so merkwürdig. Alles. Die Story. Die Blogger. All das. Wie ein böser Trip.«
»Wir haben getan, was wir konnten.«
»Sicher, das stimmt schon, es ist nur...«
»Was?«
»Die Sendung war in Ordnung. Ich meine, mehr oder weniger. Aber mir gefällt nicht, was im Internet abläuft. Mann, diese Typen sind doch verrückt! Ich war die ganze Nacht auf und hab mir ihre Stellungnahmen angesehen; nicht zu fassen, was die bei RightIsMight.org so rauslassen.«
»Hab noch nicht reingeschaut.«
»Würdest du das bitte machen? Aber schnell! Wieso hast du noch nicht reingesehen? Die führen sich auf wie Terroristen!«
»Charles, ich bin im Auto. Ich bin in einer Viertelstunde im Büro. Kann ich dich dann zurückrufen?«
»Nein, dann bin ich schon im Flugzeug. Übrigens, Abby hat mir vorhin erzählt, dass Maguire total mit den Nerven runter ist. Die Anwälte auch. Also mach dich auf was gefasst.«
Erik und Goodman waren, im Gegensatz zur obersten Riege, im siebten Himmel. Als ich an diesem Morgen unser Stockwerk betrat, gratulierten sie einander gerade mit High Fives und grölten wie zwei Footballspieler, die ein erfolgreiches Spiel absolviert hatten. Die vorläufige Zuschauerquote betrug sage und schreibe 47 Prozent, was fast so viel war wie beim Monica Lewinsky/Barbara Walters-Interview. Ich drückte mich unauffällig an ihnen vorbei und schlüpfte in mein Büro, um mir die Blogger-Reaktionen anzusehen.
Hartley hatte bisher noch keine öffentliche Stellungnahme abgegeben. Vielleicht, überlegte ich, sagte Theresa Boudreaux ja die Wahrheit, und er wusste, dass er sich nur noch tiefer reinreiten würde, wenn er vor die Kameras träte und à la Bill Clinton behauptete: »Ich hatte nie Sex mit dieser Frau, Theresa Boudreaux.« Besonders wenn wie im Fall Clinton eindeutige Beweise auftauchten. (Und ja, ich hatte Theresa gefragt, ob sie irgendwelche »befleckten« Kleidungsstücke oder Bettlaken habe.Was mir lediglich einen angewiderten Blick von ihr eingebracht hatte.)
Charles hatte recht. Nur wenige Minuten nach unserer Sendung waren auf sämtlichen rechtsradikalen und konservativen Blogsites heftige Reaktionen aufgetaucht, und man war sich in diesem Fall überraschend einig. Diese Leute hatten ihre Kampagne zur Diskreditierung Theresas eindeutig im Voraus geplant. Es wurde nach der Federal Communications Commission, dem Presseaufsichtsorgan, gerufen, wegen unserer nicht gerade verschleierten Anspielungen auf Sodomie. Rufe wurden laut, den Sender und seine Werbepartner zu boykottieren.
Eine Gruppe von fünf rechtsradikalen Bloggern, angeführt von RightIsMight.org und unterstützt von deren Tochterorganisation ToBlogIsToBeFree.org , äußerte sogar Drohungen im Stil von Osama bin Laden: Die »gottlose liberale Medienelite« würde für diese Tat büßen müssen. Unsere Anwälte warnten mittlerweile davor, dass wir uns auf mehr als nur harsche Kritik und Denunziationen gefasst machen müssten.
Maguire stand vor seiner Fernsehwand, starrte schweißgebadet auf die sieben
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