Mr Pink Floyd
der Hand … Sie verlangte von unserem Vater, dass er es sich auf der Stelle anschaute, und mit von Ekel gezeichnetem Gesicht versuchte sie, die Reaktion gleich mitzuliefern … Roger saß neben dem Kamin und sagte nichts, aber uns Geschwistern war klar, dass es um ihn ging. Wir lehnten uns über den Sessel, um es mit eigenen Augen zu sehen: Unser Vater hielt ein schwarzes, mit Rogers Handschrift vollgeschriebenes Heft in der Hand, allerdings kein Tagebuch und auch keine Notizen aus dem Unterricht. Es war eine lange, ununterbrochene Rede, die Roger auf etwa einhundert Seiten an sein eigenes Blut gerichtet hat. Der Text trug auch einen Titel, klar, in roter Blockschrift. Er lautete My blood red, oh listen . Als unser Vater ihn fragte, was der Kram zu bedeuten habe, erläuterte Roger völlig selbstverständlich, dass das Blut ein hervorragendes Gedächtnis habe und dass alles, was man ihm sage, wie in einem Buch erhalten bleibe. »Auch wenn dein Vater das Heft jetzt ins Feuer wirft?«, fragte Mama, worauf Syd, ohne sie anzusehen, einwendete, dass unser Vater vielleicht noch Lust habe, es zu lesen, ehe er es vernichte. Daraufhin brach ein solcher Streit zwischen unseren Eltern aus, dass wir auf unsere Zimmer rannten. Ob Roger mit uns anderen weggelaufen war, weiß ich nicht mehr. Als wir beim Abendessen wieder beisammensaßen, verlor auf jeden Fall keiner mehr ein Wort darüber.
Viele Jahre später erwähnte ich das Heft im Gespräch mit einem sehr lieben Freund von Roger, David Gale. Als ich ihm die Episode erzählte, wurde er blass und verriet mir, dass die Worte »my blood red, oh listen« in einem Lied von Syd vorkämen, It is obvious , eins der schrecklichsten, meinte er.
VIERUNDVIERZIGSTE ZEUGENAUSSAGE
Jon Carin
Ich weiß, ich hab einen hässlichen Namen (aber ich verrate euch mal ein Geheimnis: auch Gilmour heißt mit zweitem Namen Jon, ohne h). Ich bin Keyboarder, und das Schicksal hat es so gewollt, dass mein irdisches Dasein mit dem von Pink Floyd verwoben ist, bei dem von irdisch allerdings nicht die Rede sein kann. 1985 habe ich mit Dave beim Live-Aid-Konzert gespielt, von ’87 bis ’88 unterstützte ich Rick bei A MOMENTARY LAPSE OF REASON und auf der anschließenden Tour; item zwischen ’94 und ’95 für THE DIVISION BELL. 1999 und 2000 habe ich dagegen an Rogers Tournee IN THE FLESH teilgenommen, was mich nicht daran gehindert hat, mich sechs Jahre später von Dave für das Album und die Tour ON AN ISLAND erneut anfordern zu lassen… Man könnte also sagen, dass ich für Rick und mit Rick gespielt habe, im Dienste von Dave und im Dienste von Roger, und sollte mich deshalb jemand für eine schäbige Hure halten, beweist er damit nur, dass er keine Ahnung von uns Sessionmen hat, von unserer aus tiefstem Herzen kommenden, angeborenen Güte …
Aber anstatt von mir zu sprechen, will ich, dass ihr mal darüber nachdenkt, wie bizarr es für einen Musiker ist, den eigenen Part von jemand anderem zu hören. Für Pink Floyd hat selbstverständlich alles mit dem Abschied von Roger begonnen … Bleiben wir direkt mal bei ihm: Roger zischt Dave ins Ohr, dass sie diese Platte nie machen würden. Dennoch kommt nicht nur »diese Platte« heraus. Hätte sich Roger bei der Tournee
unters Publikum gemischt, hätte er von seinen Exkollegen außerdem noch einige von ihm geschriebene Songs hören können, schlimmer noch: Ursprünglich wurden sie auch von ihm gesungen. Und wer sang sie nun? Wer hat an seiner Stelle Another brick in the wall part 2 oder Run like hell gesungen? Aber selbstverständlich Dave, der große Gegner! Der muss Gefallen daran gefunden haben, schließlich hat er für die DIVISION BELL - Tour außerdem noch Brain damage und Eclipse hinzugenommen, das Diptychon, mit dem Roger DARK SIDE sein persönliches Siegel aufgedrückt hatte! Und dafür hätte sich Roger nicht einmal in die Konzerte hineinschmuggeln müssen, da die Tourneen anschließend auf A DELICATE SOUND OF THUN-DER und PULSE dokumentiert worden sind … Genau dazwischen liegt der erste Gegenangriff Rogers, der sich die Gelegenheit zur gigantischen Präsentation von THE WALL in Berlin am 21. Juli 1990 nicht entgehen lässt. Vor fast zwei Millionen Zuschauern, die Milliarden vor den Fernsehgeräten weltweit nicht mitgezählt, stellt Roger eine Version dieser Aufführung zur Schau, in der alles, was ursprünglich von Dave war, systematisch auf eine Vielzahl von Künstlern aufgeteilt wird. Nur ein Kindskopf mag darunter eine Form von Tribut
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