Mr. Shivers
tief hinein. Da war nichts, und er arbeitete sich weiter nach oben. Dann berührte er etwas, das sich zugleich rau und glatt anfühlte und an einem Ende knubbelig war. Seine tiefer bohrenden Finger bekamen es zu fassen, und es fiel zu Boden. Das Jaulen verstärkte sich noch, als es aus dem Holz entfernt wurde.
Er ging in die Hocke und betrachtete es. Es handelte sich um einen Knochen. Einen kleinen Knochen, wie der Oberschenkel eines Hühnchens oder der Knochen eines Männerfußes. So grau wie Abwaschwasser. Seine Oberfläche wies winzige Eingravierungen auf, eine Schrift, so schmal und geisterhaft wie Spinnweben, die in Ringen und Kreisen zum Rand hinunterführte. Er hob den Knochen mit zitternden Händen auf und sah ihn an. Als er ihn aus der Nähe betrachtete, konnte er in dem schrillen Jaulen versteckte Worte ausmachen, ein leiser Singsang in einer Sprache, die er noch nie zuvor gehört hatte.
Er sagte, der Sheriff könne die Zelle dazu bringen, einem nachts etwas vorzusingen, über all die bösen Dinge zu singen, die einem zugestoßen sind, und einen darin ertränken.
»O mein Gott«, sagte Connelly.
»Um Himmels willen, Connelly, unternimm was«, flehte Peachy. »Das klingt so schrecklich. Zerbrich es oder mach irgendetwas, bitte.«
Connelly betrachtete den kleinen Knochen noch eine Minute länger, dann nahm er ihn in beide Hände und versuchte ihn zu zerbrechen. Aber er war zu schwach, also schob er ihn teilweise wieder in den Spalt in der Wand und lehnte sich gegen das hervorstehende Ende. Der Knochen bog sich, dann brach er in zwei Hälften, und Connelly hätte schwören können, dass der kleine Knochen einen Schrei ausstieß, ein Fiepen wie ein getretener Hund, und etwas widerwärtiges Schwarzes und Dickflüssiges strömte heraus, bedeckte seine Hände und lief in Bahnen die Wand hinunter. Es stank nach ausgespucktem Tabak und vergossenem Bier und verrotteten Blättern.
»Es lebt«, hörte er sich sagen. »Das gottverdammte Ding ist lebendig.«
Sobald er sprach, fühlte er, wie sich die Luft um ihn herum klärte und das von oben einfallende Licht an Kraft gewann, und auch wenn die Zelle keineswegs sauber oder bequem war, fühlte es sich nach den vergangenen Tagen doch wie eine Wohltat an. Sein Kopf war klar, und sein Herz war stark; er fühlte sich lebendig genug, um auf den eigenen Beinen stehen zu können, ohne sich anlehnen zu müssen.
»Lieber Gott«, sagte Peachy. »Lieber Gott, das klingt so viel besser.«
Connelly atmete tief ein, dann wieder aus. »Ja. Ja, das tut es. Was, zum Teufel, war das?«
»Ich glaube, das war ein Makel.«
»Ein was?«
»Ein Makel. Ich musste an das denken, was der Alte sagte, und ich … mir fiel vergangene Nacht noch etwas anderes ein. Vielleicht war es ein Traum, ich weiß es nicht. Ich erinnerte mich an etwas, das meine Mom mir einmal erzählte, als ich noch ein kleiner Junge war. Sie wollte uns damit Angst machen, aber es war auch eine Art Scherz, verstehst du? Sie sagte, dass es in ihrer Nachbarschaft eine Hexe gegeben habe, die in einen Knochen etwas von ihrer schwarzen Seele hineinfüllen konnte. Dann verbarg sie ihn in einem Schlafzimmer, und er erzählte einem Dinge, während man schlief. Die Hexe schrieb auf den Knochen, was man tun sollte, und der Knochen flüsterte es einem zu, und am Morgen tat man es. Ich hielt das für verrückt.«
»Absolut.«
»Aber das war es nicht.«
»Ich glaube, diese Geschichte habe ich schon einmal gehört«, sagte Connelly. »Von jemand anders. Der sagte, es würde das Land verderben und vergiften.« Er schüttelte den Kopf. »Mein Gott. Allmächtiger Gott, solche Dinge gibt es nicht. Solche Dinge sind nicht real.«
»Aber es ist passiert«, sagte Peachy. »Es ist real.«
Connelly dachte darüber nach und sagte: »Absolut.«
ZWANZIG
Als die Deputies am nächsten Tag Haferschleim und Wasser in die Zelle schoben, schnappte sich Connelly den Blechnapf und aß hungrig. Sie lachten nicht, sondern reagierten mit Überraschung, und er hörte, wie sich ihre Schritte schnell entfernten.
»Das wird Ärger geben«, sagte Connelly.
»Ja«, meinte Peachy.
Aber dazu kam es nicht. Die beiden Männer warteten schweigend und ließen die Stunden verstreichen, aber niemand kam. Nicht der geringste Laut war zu hören. Das ganze Gefängnis war totenstill.
Als der Abend hereinbrach, schob sich eine graue Wolkenbank vor den Mond. Der Wind gewann an Kraft und hämmerte gegen das Gebäude. Die Temperatur fiel, bis die beiden Gefangenen
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